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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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schönen Anblick, wie er so dastand, breit wie der Türrahmen und ebenso hoch. Bei jeder Bewegung blitzte Kerzenschein auf einem Fleischerbeil an seinem Gürtel. Es war blank geputzt wie das Schwert eines Ritters und diente fraglos keinem anderen Zweck als der Einschüchterung von Unruhestiftern.
    Der Wirt wurde auf ihn aufmerksam, noch ehe er den halben Weg zurückgelegt hatte. Sein Blick wich nicht mehr von Faun, bis der ihn erreicht hatte. Die haarige Pranke des Mannes lag reglos auf dem Griff des Fleischerbeils.
    Faun musste von unten zu ihm aufschauen. Von nahem wirkte er ungleich kolossaler.
    »Was gibts?«, fragte der Wirt.
    »Ich …«, begann Faun, schluckte und versuchte es erneut: »Ich … möchte Euch eine Frage stellen.«
    Eine buschige Braue ruckte nach oben. »So?«
    Faun nickte. »Ich bin Gaukler. Und würde gern zum Tanz aufspielen, zum Wohlgefallen Eurer ehrenwerten Gäste – und natürlich zu Eurer eigenen hoch geschätzten Unterhaltung. Wenn’s gestattet ist.«
    »Warum redest du so?«, knurrte der Wirt.
    »Wie, Herr?«
    »Wie ein Vollidiot.«
    »Nun, ich …« Und dann ging ihm erst mal die Puste aus, denn ihm wurde bewusst, dass er womöglich einen Fehler begangen hatte. Unterwürfigkeit mochte bei Hofe gefragt sein, aber nicht an einem Ort wie diesem, der ebenso rau und kantig war wie das Waldland, das ihn umgab.
    »Ich würde gern in Eurem Haus auftreten«, sagte er mit erzwungener Ruhe. »Ihr tragt da ein ziemlich großes Beil, deshalb hab ich’s für klüger gehalten, Euch um Erlaubnis zu bitten.«
    »Hm-hm«, brummte der Wirt. »Schon besser. Was kannst du denn?«
    »Vieles. Hühnereier jonglieren –«
    »Die Decke ist zu niedrig.«
    »Singen –«
    »Nicht bei dem Lärm.«
    »Flöte spielen –«
    »Ich seh nirgends eine. Wo hast du sie?«
    »Sie … sie ist mir gestohlen worden. Ihr habt nicht zufällig eine hier? Oder eine Laute?«
    »Ein schöner Gaukler bist du mir!« Stechend schaute der Wirt ihm in die Augen. »Aber ich habe tatsächlich eine Flöte. Vom letzten Kerl, der hier musiziert hat. Er hat sie … sagen wir, danach nicht mehr gebraucht.«
    »So?«, krächzte Faun.
    Die gewaltigen Finger schlössen sich um das Beil, und Faun war keineswegs sicher, ob der Mann ihn gerade zum Narren hielt. »Er hat schlecht gespielt.«
    »Ich bin besser.«
    »Das würde ich dir auch raten. Kann nämlich keinen Ärger gebrauchen.« Die dunklen Augen verharrten noch einen Moment länger auf Faun, dann richtete der Wirt sich mit knarzender Lederschürze auf und sah zu Tiessa hinüber.
    »Kann sie tanzen?«, fragte er.
    »Wer?«
    »Die Kleine.«
    »Oh, die … Nein. Ich meine, nein, ich glaube nicht.«
    »Ist sie nicht dein Weib? Sonst wär’s Kuppelei, euch hier zu bewirten. Und ich kann keinen Ärger gebrauchen.«
    »Doch, doch, das ist sie. Vor Gott mir angetraut.«
    »Sie soll tanzen. Dann hast du meine Erlaubnis. Zwei Drittel von allem, was du verdienst, gehören mir.«
    Zwei Drittel? Das war Wucher der allerschlimmsten Sorte. »Die Hälfte?«
    Der Wirt gab keine Antwort. Stattdessen runzelte er erneut die Stirn. »Sie zieht sich nicht aus, oder? Beim Tanzen? Kann keinen Ärger gebrauchen.«
    »Himmel, nein!«
    »Gut.« Damit drehte er sich um und ergriff einen Knüppel. Faun glaubte gerade, sein letztes Stündlein habe geschlagen, als der Koloss das Ding gegen einen metallenen Gong krachen ließ. Für zwei, drei Herzschläge übertönte der Klang jedes andere Geräusch in der Schänke. Alle Gespräche brachen ab. Mit einem Mal waren Dutzende Augenpaare auf den Wirt gerichtet.
    »Hört her!«, rief der Wirt in die Menge. »Dieser Gaukler hier, ein ausgesprochener Meister seiner Kunst, wird uns alle nun mit Musik und Spaß erfreuen. Und sein hübsches Weib dort drüben tanzt dazu auf dem Tisch.«
    Das hübsche Weib wurde beim Anblick des riesigen Fingers, der in ihre Richtung zeigte, so blass, dass Faun schon glaubte, sie würde ohnmächtig. Doch nach dem ersten Schrecken reagierte sie bemerkenswert gefasst. Ihre Lippen formten ein schüchternes »Oh!«, aber das wurde bereits vom rauen Jubel der Gäste übertönt. Am lautesten tobten und applaudierten die fingerlosen Waldburschen.
    Der Wirt verschwand für einen Augenblick in der Küche und kam mit einer alten Flöte zurück. Sie war übersät mit Fettspritzern, und Faun hätte sich nicht gewundert, wenn sie sich durch die Nähe zum Herdfeuer verzogen hätte. Er blies probeweise ein paar Töne und war überrascht, dass sie recht passabel

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