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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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leid.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Es ist schon eine Weile her. Aber ich denke noch immer viel an ihn.«
    Wie oft hatte er in den vergangenen Wochen an seinen eigenen Vater gedacht? Nicht häufig. Und wenn doch, dann waren es keine angenehmen Gedanken gewesen. Aber er glaubte zu verstehen, was Tiessa meinte.
    »Was für ein Mann ist er gewesen?«
    »Er war oft traurig. Er hat nicht viel Zeit für mich und meine Schwestern gehabt. Aber er ist immer gut zu uns gewesen.«
    Wahrscheinlich war dies die beste Gelegenheit, um mehr über sie zu erfahren. Aber etwas hielt Faun davon ab, sie auszuhorchen. Das Bier hatte ihre Zunge gelöst, doch er hätte sich schäbig dabei gefühlt, ihre Trauer auszunutzen. Er hatte ihr Vertrauen bereits einmal missbraucht. Das war genug.
    »Irgendwann erzählst du mir von ihm, ja?«
    Tiessa nickte. »Vielleicht.« Ihre Blicke trafen sich, hingen für einen Moment aneinander. Dann wich sie ihm aus. »Hast du noch Durst?«
    Er hatte gar nicht bemerkt, dass er auch den zweiten Krug geleert hatte. »Nein, das reicht.« Er streckte sich und gähnte. Einer der Waldarbeiter mit den verstümmelten Händen blickte herüber und ließ sich nicht im Geringsten davon beirren, dass Faun zurückstarrte. Etwas unverhohlen Bedrohliches lag in den Augen des Mannes.
    »Faun!« Tiessas Stimme lenkte seine Aufmerksamkeit zurück auf sie. Plötzlich wirkte sie aufgeregt. Ihre Lippen bewegten sich, aber er verstand nicht, was sie ihm zuflüsterte.
    Sie schob ihren Krug beiseite und beugte sich so weit über den Tisch vor, dass sie dazu von der Bank aufstehen musste. Ihre Stimme war ein angespanntes Raunen. »Ich habe gesagt: Das Geld ist weg!«
    »Das ist nicht lustig.« Sein Grinsen wirkte wie erstarrt.
    »Nein. Ist es nicht.«
    Die Decke des Schankraums schien sich auf ihn niederzusenken. Ihm war mit einem Mal ungeheuer heiß, und er zerrte an seinem Ausschnitt, um Luft an seine Haut zu lassen.
    »Bist du ganz sicher?«
    Sie nickte hektisch. »Draußen war die Börse noch da. Jetzt ist sie verschwunden.«
    »Du hättest besser auf sie achten müssen!«
    »Was leichter gewesen wäre, wenn nicht jemand gestern Nacht mit dem Messer daran herumgefuchtelt hätte.«
    Verstohlen blickte er zum anderen Ende des Schankraums, wo der Wirt mit verschränkten Armen neben der Tür zur Küche stand und wachsame Blicke durch den Raum schickte. Der massige Mann behielt gleichermaßen die Mägde und seine Gäste im Auge. Faun sah rasch in eine andere Richtung. Ihm war, als müsste der Wirt jeden Moment herüberschauen und auf der Stelle erkennen, dass hier zwei Zechpreller saßen.
    »Was jetzt?«, fragte Tiessa.
    Der eine Waldarbeiter stieß einen seiner Gefährten an und tuschelte mit ihm. Faun hatte aus widersinnigen Gründen keinerlei Zweifel, dass der Kerl genau wusste, was geschehen war. Er fühlte sich, als hätte jemand die Wahrheit wie einen Schuldspruch in seine Stirn geritzt.
    Hatten sie die Münzen gestohlen? Gut möglich. Eine ungeheure Wut stieg in ihm auf, verbunden mit Hilflosigkeit. Mindestens zwei der Männer hatten Holzfälleräxte an die Tischkante gelehnt.
    »Wir kommen hier nie unbemerkt raus.« Auch er lehn te jetzt weit über dem Tisch, die Ellbogen in Ringen aus abgestandenem Bier, während er mit Tiessa tuschelte.
    Sie folgte seinem Blick zur Tür. Die Distanz hatte sich scheinbar verfünffacht. Die Menschenansammlung zwischen ihnen und dem Ausgang wirkte so massiv wie ein Wall aus Granit.
    »Du bist doch Gaukler«, sagte sie unvermittelt.
    »Und?«
    »Frag den Wirt, ob du für die Zeche aufspielen kannst. Mach Musik. Oder wirf Bälle in die Luft. Irgendwas.«
    Er verzog das Gesicht. »Wenn ich zu ihm gehe und ihm sage, dass wir kein Geld haben, wird er mich nicht mal ausreden lassen. Hast du ihn dir mal angeschaut?« Faun wagte noch immer kaum, zu dem riesigen Mann hinüberzusehen, aus Angst, er könnte seine Aufmerksamkeit auf sie ziehen.
    »Hmm«, machte Tiessa gedehnt. »Sieht aus, als könnte er einem Arme und Beine ausreißen.«
    »Eben.«
    »Dann frag ihn nur, ob du auftreten darfst. Du brauchst ihm ja nicht zu erzählen, warum.«
    Faun sah zu den Waldarbeitern hinüber, die jetzt wieder alle in ein Gespräch vertieft waren. »Wenn du siehst, dass ich in Schwierigkeiten bin, dann warte nicht auf mich. Hau so schnell wie möglich ab.«
    Sie nickte und lächelte ihm zu. »Du machst das schon«, sagte sie.
    Schweren Herzens stand er auf und musste sich zwingen, den Wirt anzusehen. Er bot keinen

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