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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Sie konnten von hier aus nicht sehen, um wen es sich handelte. Dann waren sie auch schon im Inneren des Stalls und schauten sich angestrengt in der Finsternis um. Es roch intensiv nach Pferden und Stroh. Aus mehreren Richtungen ertönten leises Scharren von Hufen und schläfriges Schnaufen.
    »Wenn wir nur eines nehmen, schlagen sie uns vielleicht nur die Hände ab«, sagte Faun. »Nehmen wir zwei, bringen sie uns auf jeden Fall um.«
    Ohne Entgegnung huschte Tiessa davon.
    »Kannst du irgendwas sehen?«
    »Das hier«, sagte sie bestimmt und redete dann sanft auf das Tier ein: »Ja, braver Junge. Du kommst mit uns, hm?«
    »Wie, zum Teufel, kannst du entscheiden, welches die Besten sind?«
    »Nicht die Besten. Die Ruhigsten. Oder willst du dir einen Wildfang klauen, der dich draußen vor dem Tor gleich abwirft?«
    Faun war kein besonders erfahrener Reiter. Er würde sich gerade so im Sattel halten können, wenn es darauf ankam. Tiessa mochte das ahnen, oder aber sie war selbst nicht allzu erfahren im Umgang mit Pferden. Allerdings sprach dagegen die Art und Weise, wie sie im Dunkeln mit den Tieren tuschelte.
    Nach kurzer Zeit hörte er Hufe im Stroh rascheln und ein leises Schnauben. Dann kam Tiessa tatsächlich mit zwei Rössern zu ihm zurück. Sie wirkte bedrückt, aber das mochte an der Dunkelheit liegen. »Kannst du deins selbst satteln?«, fragte sie heiser.
    »Sicher.«
    Wenig später waren die Tiere bereit zum Aufbruch. Im Dunkeln hatte die nötige Prozedur ein wenig länger gedauert, aber schließlich saßen die Sättel fest auf den Rücken der Pferde. Fauns Stute war dunkel – braun oder schwarz, vermutete er –, während sich Tiessa einen Schimmel ausgesucht hatte. Tiessa zog sich in den Sattel, wickelte sich die Zügel um die rechte Hand und warf einen letzten Blick auf Faun, der zum Tor ging und einen sichernden Blick ins Freie warf.
    »Schnell!«, zischte sie und klang jetzt ganz anders als vorhin. Nicht mehr nur einfach besorgt, sondern regelrecht verängstigt.
    Faun sah zu ihr auf. »Ist da irgendwas, das ich wissen sollte?«
    »Diese Pferde …«, sagte sie leise.
    Sein Blick glitt über den Schimmel. Für ihn sah ein weißes Pferd aus wie das andere.
    »Das sind ihre«, flüsterte sie.
    »Ihre?« Er schluckte etwas hinunter, das sich anfühlte wie ein Kieselstein. »Ihre!«
    Tiessa tätschelte dem Schimmel den Hals. »Die Männer, die mich verfolgen. Sie sind hier … irgendwo.«
    »Und wir stehlen ihre Pferde?«
    »Es sind die besten im ganzen Stall. Außerdem kennen sie mich. Ein bisschen, jedenfalls.«
    Er bewegte sich noch immer nicht vom Fleck. »Heißt das, diese Kerle waren die ganze Zeit da drinnen?«
    »Sie müssen auf ihren Zimmern sein. In der Schänke waren sie jedenfalls nicht.«
    Er wusste nicht, was ihn härter traf. Die Tatsache, dass ihre Feinde jetzt dort draußen waren und Tiessa und er drauf und dran waren, ihre Rösser zu stehlen. Oder vielmehr die Erkenntnis, dass sie die ganze Zeit über nur durch eine dünne Holzdecke von den vier Rittern getrennt gewesen waren.
    Er gab sich einen Ruck und zog langsam das Tor auf, gerade weit genug, dass ein Ross mit Reiter hindurchpasste. Der Knecht lehnte noch immer im Fenster.
    Mit zitternden Knien kehrte er zu seiner Stute zurück und zog sich in den Sattel. Sie bewegte sich unruhig auf der Stelle, ließ ihn aber gewähren.
    »Bereit?«, fragte Tiessa.
    »Bereit«, erwiderte er.
    Sie verließ den Stall als Erste. Der Knecht bemerkte sie noch immer nicht – wohl aber die fünf Gestalten, die am anderen Ende des Platzes standen, gleich an der Straße. Ob die Männer den Gasthof verlassen hatten, um die hübsche Tänzerin ausfindig zu machen, oder ob sie andere Gründe gehabt hatten, spielte jetzt keine Rolle mehr. Im selben Moment, als der erste das Mädchen im Mondlicht erkannte, stieß er einen Pfiff aus, zeigte auf sie und alarmierte die anderen.
    Es bedurfte keiner Absprache. Innerhalb eines Herzschlags waren sie sich einig. Tiessa trat dem Schimmel die Fersen in die Seiten. Faun versuchte es genauso zu machen, aber seine Stute reagierte erst beim dritten Mal. In der Zwischenzeit wirbelte der Stallknecht herum, entdeckte sie und stieß einen wilden Fluch aus.
    Die Tiere brachen in Galopp aus. Faun traute seinen Augen nicht, als Tiessa zwei der Kerle ohne zu zögern über den Haufen ritt, während ein dritter versuchte, sie am Bein zu packen. Sie schwankte, doch in dem Moment gehorchte Fauns Stute, und er trieb das Pferd mit einem

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