Herrin der Lüge
klang. Allemal gut genug für diese Meute.
Der Wirt gab ihm einen kräftigen Schubs, der ihn zurück in Tiessas Richtung beförderte. Die Menge strömte auseinander und schuf eine Gasse.
»Gut gemacht«, fauchte Tiessa, als er sie erreichte. »So viel Aufmerksamkeit – und nur für uns allein!«
»Du kannst doch tanzen, oder?«
»Und wenn nicht?«
Faun schwenkte die Flöte. »Die hat dem Letzten gehört, der irgendwas nicht gut genug konnte.«
»Oh«, sagte sie zum zweiten Mal, und dann wurde sie auch schon von einem Kerl von hinten um die Taille gefasst und auf den Tisch gehoben. Sie quietschte auf, hatte aber gleich wieder alle Sinne beisammen und verbeugte sich. Faun fand es bemerkenswert, wie rasch sie sich mit der neuen Lage abfand.
Die Holzfäller räumten alle Schalen, Krüge und Kerzen beiseite, und bald hatte sich ein enger Kreis um den Tisch und Faun gebildet. Anfeuernde Rufe ertönten, Händeklatschen und Fußstampfen.
Der Wirt nickte Faun zu.
Der setzte die Flöte an die Lippen, schenkte Tiessa ein aufmunterndes Lächeln und begann ein schnelles Tanzlied. Tiessa brauchte drei, vier Herzschläge, ehe sie sich auf den hastigen Rhythmus eingestellt hatte.
Aber, bei Gott, dann tanzte sie. Tanzte, dass Faun beim Blick über die Flöte und seine huschenden Finger fast die Augen aus den Höhlen fielen. Sie trug nach wie vor die schmutzige Wegkleidung, enge Beinlinge, eine weite Tunika mit kurzer Jacke und geschnürte Stiefel, die bei jedem Schritt die Tafel erbeben ließen. Und doch sah sie zauberhaft aus, beinahe elfengleich mit ihrer anmutigen, zarten Gestalt. Nach einem gemeinsamen Seufzen brach die Menge in begeisterten Applaus aus. Einen Moment lang verlor Faun den Faden seines Spiels, aber das war nicht schlimm, weil die Melodie ohnehin im Lärm des Jubels unterging. Dann fand er zurück zu den richtigen Klängen, und Tiessa drehte und reckte und schlängelte sich dort oben auf dem Tisch, dass das Zuschauen eine wahre Wonne war und selbst dem gröbsten Gesellen aus den Wäldern das Herz schneller klopfte.
Nicht zu schnell, hoffte Faun, der sich bereits ausmalte, wie schmutzige Hände nach dem Mädchen griffen und es vom Tisch zerrten.
Aber da stand der Wirt schon neben ihnen, gleichermaßen gefesselt von Tiessas Darbietung, aber doch auch immer mit einem wachen Auge auf die aufgepeitschte Menge. Nun war es gewiss kein Zufall mehr, dass seine Finger am Griff des Fleischerbeils ruhten.
Faun sah zu Tiessa hinauf, während sein Atem und seine Finger das Instrument wie von selbst bedienten.
Das war der Moment, in dem ihre Tunika verrutschte und er die Geldbörse bemerkte, die fest umschnürt an ihrem Gürtel hing. Stammte das Klimpern, das er zu hören glaubte, etwa von Münzen?
Er stockte, erntete einen finsteren Blick des Wirts und spielte rasch weiter. Tiessa hatte es gar nicht bemerkt. Sie achtete eh kaum auf sein Spiel, war vielmehr in einen bezaubernden Taumel verfallen, der sie von einem Wirbel zum nächsten führte, im einen Moment eine Hexe, die ihren Zopf ekstatisch schüttelte, im nächsten eine arglose Nymphe auf einer Waldichtung im Wald, unbeeindruckt von den Augen, die sie gierig begafften.
Die verdammte Geldbörse hing an ihrem Gürtel! Und sie war keineswegs leer!
Faun verschluckte sich fast, doch der Anblick des Beils, genau auf Höhe seiner Augen, ließ ihn weiterspielen. Erst recht, als sich die freie Hand des Wirts auf seine Schulter senkte und liegen blieb wie fleischgewordenes Unheil.
Er beendete das Stück und begann gleich mit dem nächsten. Jemand warf ihm eine Münze vor die Füße. Augenblicklich bückte sich der Wirt und fischte sie auf. Weitere folgten. Tiessa wirbelte umher, sprang die gesamte Länge der Tafel entlang, sodass sich Männer rasch auf das eine Ende stützten, damit es sich nicht hob, wenn sie auf der anderen Seite tobte.
Faun war viel zu wütend auf sie, um sich nun auch noch über die gierigen Hände des Wirts zu ärgern. Warum hatte sie ihn angelogen? Aber das sah ihr ähnlich. Vermutlich hatte sie ihren Spaß dabei, es ihm für seinen Diebstahlsversuch gestern Nacht heimzuzahlen.
Doch sie spielte mit dem Feuer. So gut es im Augenblick für sie aussehen mochte, so schnell konnte die Stimmung umschlagen. Falls es wirklich ein paar dieser Kerle auf das Mädchen absähen, würde auch der Wirt keine große Hilfe sein. Und was war später, wenn sie das Wirtshaus verließen? Draußen im Wald waren sie den Männern ausgeliefert.
Er spielte Lied um
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