Herrin Der Stürme - 2
Gleitern flogen sie gemeinsam die langen Täler entlang, schwebten von Gipfel zu Gipfel, verbargen sich vor den Sommerstürmen unter Felsklippen oder lagen nebeneinander in versteckten Canons. Stunde um Stunde betrachteten sie die am Himmel entlanggleitenden Wolken und wandten ihre Blicke der grünen Erde und dann einander zu.
Dorilys näherte sich von Tag zu Tag immer mehr der Beherrschung ihrer seltenen Gabe, und Renata begann immer optimistischer zu werden. Vielleicht würde alles gut werden. Wahrscheinlich sollte Dorilys niemals riskieren, ein Kind zur Welt zu bringen – mit Gewißheit zumindest nie ein weibliches –, aber die Pubertät konnte sie unbeschadet überleben. In der Flut ihrer eigenen Liebe spürte Renata, daß sie es nicht würde ertragen können, Dorilys dieses Versprechens und dieser Hoffnung zu berauben.
Und ich habe mich über Cassandra lustig gemacht! Avarra, wie jung und unwissend ich doch war!
An einem der langen, strahlenden Sommernachmittage lagen sie verborgen in einem grünen Tal und schauten zu den Höhen hinauf, wo Dorilys mit einigen Jungen aus dem Schloß wie ein Vogel schwebte und auf Aufwinden kreiste.
Donal sagte: »Ich bin mit dem Gleiter ziemlich geschickt, aber ich könnte nie wie sie auf den Winden reiten. Ich würde es nie wagen. Keiner der Jungen ist auch nur halb so geschickt oder furchtlos.« »Keiner von ihnen hat ihre Gabe«, stellte Renata fest. Als sie in die betäubend violetten Tiefen des Himmels blickte, blinzelte sie, da ihr plötzlich Tränen kamen. Manchmal schien ihr in diesem ersten und letzten Sommer der Liebe, daß Dorilys ihr eigenes Kind geworden war – das Kind, von dem sie wußte, das sie es ihrem Geliebten nie gebären würde. Aber Dorilys gehörte ihnen, und an ihnen war es, sie auszubilden, zu unterrichten und zu lieben.
Donal beugte sich plötzlich über Renata und küßte sie. Dann berührte er sachte ihre Augenwimpern mit dem Finger. »Tränen, Liebes?« Renata schüttelte den Kopf. »Ich habe zu lange in den Himmel geschaut, als ich sie beobachtete.«
»Wie seltsam das doch alles ist«, sagte Donal, während er ihre Hände ergriff und die schlanken Finger küßte. »Ich hätte nie gedacht…« Seine Stimme erstarb, aber sie standen in so enger Verbindung, daß Renata seine unausgesprochenen Gedanken verfolgen konnte.
Ich hätte nie gedacht, daß die Liebe auf diese Weise zu mir kommt. Ich wußte, daß mein Pflegevater eines Tages, früher oder später, eine Frau für mich auswählen würde, aber so zu lieben… Es scheint so unwirklich. Irgendwie muß ich den Mut finden, es ihm zu sagen, irgendwann … Mit einiger Anstrengung versuchte Donal sich vorzustellen, wie er gegen Brauch und gesittetes Benehmen verstieß, wenn er ins Arbeitszimmer seines Pflegevaters trat und sagte: »Sir, ich habe nicht abgewartet, bis Ihr mir eine Braut auswählt. Es gibt eine Frau, die ich heiraten möchte …« Er fragte sich, ob Dom Mikhail sehr verärgert über ihn sein – oder, noch schlimmer, er Renata Vorwürfe machen würde. Aber wenn er wüßte, daß es nie mehr im Leben irgendein Glück für mich gäbe, außer mit Renata … Er fragte sich, ob Dom Mikhail je erfahren hatte, wie es war, zu lieben. Seine Ehen waren ordnungsgemäß von seiner Familie in die Wege geleitet worden. Was konnte er überhaupt von den Gefühlen wissen, die ihn und Renata bewegten? Donal spürte den Wind kalt über seinen Körper fahren und zitterte, als er den fernen, warnenden Atemhauch des Donners spürte.
»Nein«, sagte Renata. »Sie kennt die Sturmströmungen zu gut und befindet sich in keiner Gefahr. Sieh nur! Jetzt folgen ihr alle Jungen –« Sie deutete nach oben auf die Reihe von Kindern, die im Wind ihre Kreise zogen und wie ein Schwarm wilder Vögel auf die hohen Klippen Aldarans zujagten. »Komm, Geliebter. Die Sonne wird bald untergehen. Die Winde werden bei Sonnenuntergang sehr heftig. Wir müssen zurückkehren und uns ihnen anschließen.«
Seine Hände zitterten, als er ihr half, die Gurte ihres Gleiters anzulegen.
Renata flüsterte: »Von all den Dingen, die du mit mir geteilt hast, Donal, ist das vielleicht das herrlichste. Ich weiß nicht, ob je eine Frau in den Hellers in der Lage gewesen ist, zu fliegen.« Im wachsenden Purpur der Sonne sah Donal das Flackern einer Träne auf ihren Wimpern. Aber sie entzog sich sacht seinen Gedanken, neigte die Flügel ihres Gleiters und lief das langgestreckte Tal hinab. Sie erwischte eine schnelle Luftströmung und schwebte
Weitere Kostenlose Bücher