Herrin Der Stürme - 2
wiedersehen, nur einmal, muß ihn küssen, ihm Lebewohl sagen … Ich muß, oder ich kann nicht weiterleben! Sicher kann es nicht verboten sein, ihm nur Lebewohl zu sagen. Ich bin eine geübte Matrix-Arbeiterin. Ich weiß, was ich tue, und es wird mir die Kraft geben, ohne ihn weiterzuleben …
Ein letzter Hauch von Vernunft ließ sie sich fragen, ob es wirklich Donal war, der sich dort am Horizont bewegte und sie ins Nichts lockte. War es nur eine aus Kummer und Sehnsucht geborene Illusion, weil sich ihr Bewußtsein weigerte, die Unwiderruflichkeit seines Todes zu akzeptieren? Hier, im Reich der Gedanken, konnte ihr Geist eine Illusion von Donal erzeugen und ihr folgen, bis sie ihm begegnete.
Mir ist es gleichgültig! Mir ist es gleichgültig! Sie schien jetzt hinter der zurückweichenden Gestalt herzurennen. Dann verlangsamte sich ihre Geschwindigkeit, und sie blieb stehen. Zur Bewegung unfähig, sandte sie ihm einen letzten Verzweiflungsschrei nach: Donal! Warte …
Plötzlich lichtete sich das Grau und wurde dünner. Eine schattige Gestalt versperrte ihr den Weg. Jemand sagte ihren Namen. Es war eine vertraute, sanfte Stimme.
»Renata, Cousine – Renata, nein.«
Vor ihr stand Dorilys. Nicht die schreckenerregende, unmenschliche Flamme, nicht die Herrin der Stürme, sondern die frühere, kleine Dorilys aus dem Sommer ihrer Liebe. In dieser veränderlichen Welt waren alle Dinge so, wie der Geist sie hinmalte. Dorilys war wieder das kleine Mädchen von einst, dessen Haar zu einem langen Zopf geflochten war, während das kindliche Kleid ihr kaum bis zu den Knöcheln reichte. »Nein, Renate, Liebste, es ist nicht Donal. Es ist eine aus deiner Sehnsucht entstandene Illusion. Du würdest ihr umsonst nachlaufen. Geh zurück. Man braucht dich dort… «
Renata schaute in die Halle von Burg Aldaran, wo ihr lebloser Körper, bewacht von Cassandra, auf dem Boden lag.
Sie hielt inne, blickte Dorilys an.
Sie hatte Donal getötet…
»Nicht ich, sondern meine Gabe«, sagte Dorilys. Ihr kindliches Gesicht wirkte tieftraurig. »Ich will nicht mehr töten, Renata. In meinem Stolz und meinem Eigensinn wollte ich nicht hören, und jetzt ist es zu spät. Du mußt zurückgehen und es den anderen sagen: Ich darf nie wieder aufwachen.«
Renata senkte den Kopf. Sie wußte, daß das Kind die Wahrheit sprach. »Sie brauchen dich, Renata. Geh zurück. Donal ist nicht hier«, drängte Dorilys. »Ich selbst wäre beinahe auf die Illusion hereingefallen. Aber jetzt, da Stolz und Ehrgeiz mich nicht mehr blenden, kann ich deutlicher sehen. Ich weiß nun, was Donal ein Leben lang für mich war: eine Illusion. Mein eigener Glaube gaukelte mir das vor, was ich in ihm sehen wollte. Ich …« Dorilys’ Gesicht verschwamm, bewegte sich. Renata sah das Kind, das sie hätte sein können, die Frau, zu der sie geworden war, aber nun nie sein würde. »Ich weiß, daß er für dich bestimmt ist. Ich war zu selbstsüchtig, das zu akzeptieren. Und jetzt habe ich nicht einmal das, was er mir aus eigenem Willen zugestehen wollte.« Sie winkte. »Geh zurück, Renata. Für mich ist es zu spät.«
»Aber was wird aus dir, mein Kind?«
»Du mußt deine Matrix benutzen«, sagte Dorilys, »und mich hinter einem Kraftfeld isolieren … Du hast mir erzählt, daß die Leute von Hali Dinge, die zu gefährlich sind, auf diese Art abschirmen. Du kannst mich nicht töten, Renata. Meine Gabe arbeitet jetzt unabhängig von mir. Ich weiß nicht wie, aber sie wird zuschlagen, um meinen Körper zu schützen, wenn man mich angreift, auch wenn ich nicht mehr länger leben will. Renata, versprich mir, daß du nicht zuläßt, daß ich jene, die ich liebe, weiter zerstöre.«
Es könnte gehen, dachte Renata. Man kann Dorilys nicht töten. Aber man könnte sie hinter einem Kraftfeld isolieren und ihre Lebenskräfte reduzieren.
»Laß mich in Sicherheit so lange schlafen, bis keine Gefahr mehr besteht, mich wieder aufzuwecken«, sagte Dorilys. Renata zitterte. Wenn sie das taten, würde Dorilys in der Oberwelt allein hinter dem Kraftfeld, das selbst ihren Geist abschirmte, allein sein.
»Liebes, was wird dann mit dir geschehen?«
Dorilys’ Lächeln war kindlich und weise zugleich.
»Nun, in dieser langen Zeit – obwohl, das weiß ich, hier draußen Zeit nicht existiert – werde ich vielleicht endlich Klugheit erlernen, wenn ich weiterlebe. Und falls nicht« – sie zeigte ein merkwürdig entrücktes Lächeln –, »es gibt andere, die vor mir gegangen sind. Ich glaube nicht,
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