Herrin Der Stürme - 2
daß Klugheit je verschwendet wird. Geh zurück, Renata. Laß nicht zu, daß ich noch jemanden töte. Donal ist meiner Reichweite entzogen – und auch der deinen. Aber du mußt zurückgehen und leben – seines Kindes wegen. Es verdient eine Chance.«
Danach fand Renata sich im Sessel der großen Halle von Burg Aldaran wieder. Über den Höhen der Burg brachen sich die Stürme …
»Es könnte gehen«, sagte Allart schließlich bedachtsam. »Zu dritt könnten wir es schaffen. Dorilys’ Lebenskräfte könnten so weit reduziert werden, daß sie keine Gefahr mehr darstellen. Vielleicht wird sie sterben. Vielleicht wird sie aber auch eines Tages wieder aufwachen. Aber es ist wahrscheinlicher, daß sie immer tiefer in ihre Geisteswelt hinabsinkt und eines Tages – vielleicht auch erst in Jahrhunderten – stirbt. In jedem Fall ist sie frei, und wir sind sicher …«
Und so geschah es. Wie Allart es mit seinem Laran vorhergesehen hatte, lag sie reglos auf der Totenbahre in dem großen gewölbten Raum der Burgkapelle.
»Wir werden sie nach Hali tragen«, sagte Allart, »und sie dort für immer aufbahren lassen.«
Lord Aldaran nahm Renatas Hand. »Ich habe keinen Erben. Ich bin alt und allein. Es ist mein Wille, daß Donals Sohn hier regieren soll, wenn ich nicht mehr bin. Es wird nicht lange dauern, Cousine«, sagte er und blickte ihr in die Augen, »willst du mich durch die Catenas heiraten? Ich habe dir nichts anzubieten, außer diesem: Wenn ich dein Kind als meinen Sohn und Erben anerkenne, gibt es keinen Menschen, der mir das bestreiten kann.«
Renata verbeugte sich. »Um Donals Sohn willen. Es soll geschehen.« Aldaran breitete die Arme aus, zog sie an sich, und küßte sie sanft und leidenschaftslos auf die Stirn. Mit dieser Geste brach er alle Barrieren. Zum ersten Mal seit Donals Tod begann Renata zu weinen.
Allart wußte endlich, daß dieser Tod nicht auch Renata treffen würde. Sie würde leben und sich eines Tages erholen. Es würde der Tag kommen, an dem Aldaran Donals Sohn in diesem Raum zu seinem Erben machte, wie er es vorausgesehen hatte …
Bei Tagesanbruch machten sie sich auf den Weg nach Norden. Dorilys’ Körper lag in einem Sarg und war mit einem Kraftfeld versiegelt; man würde sie nach Hali bringen, wo ihre letzte Ruhestätte war. Allart und Cassandra ritten neben ihr.
Hoch über ihnen beobachteten Renata und Dom Mikhail vom höchsten Balkon der Burg, wie sie sich entfernten: schweigend, reglos, von Kummer gebeugt.
Während sie den Pfad hinabritten, dachte Allart, daß er nie zu trauern aufhören würde – um Donal, den auf der Höhe seines Sieges der Tod ereilt hatte; um Dorilys in ihrer Schönheit und ihrem Eigensinn; um den stolzen alten Mann, der gebrochen dort oben stand; und um die neben ihm ausharrende Renata.
Auch ich bin gebrochen. Ich werde König sein, obwohl ich nicht regieren will. Und doch kann nur ich dieses Reich vor dem Zerfall bewahren. Ich habe keine Wahl. Er ritt mit gesenktem Kopf und nahm Cassandra kaum wahr, bis sie schließlich nach ihm griff und ihre schlanke, sechsfingrige Hand um die seine schloß.
»Mein Liebster, es wird eine Zeit kommen«, sagte sie, »in der wir endlich Lieder singen, statt Krieg zu führen. Ich habe nicht dein Laran. Aber ich sehe es voraus.«
Allart dachte: Ich bin nicht allein … und um sie muß ich nicht trauern. Er hob den Kopf und blickte der Zukunft entschlossen entgegen. Er winkte noch einmal zu der Burg hinauf, die er nie wiedersehen würde, aber es war auch ein Abschiedsgruß für Renata, von der er sich, wie er wußte, nur eine kurze Weile trennte.
Sie folgten der Prozession, die die Herrin der Stürme zu ihrem letzten Ruheplatz trug, den Pfad von Burg Aldaran hinab. Allart bereitete sich darauf vor, den Männern zu begegnen, die ihm in diesem Moment entgegenritten, um ihm die ungewollte Krone anzubieten. Der Himmel über ihnen war grau und still. Als hätte kein Gewitter diesen ruhigen Ort jemals erschüttert.
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