Herrin Der Stürme - 2
aber lebend lag er wie betäubt auf dem felsigen Hang und spürte, wie die Ströme des Blitzes ziellos umherfuhren, während sich das Donnergrollen von Felsspitze zu Felsspitze fortpflanzte.
Als er wieder zu Atem gekommen war, rappelte er sich auf. Beide Flügelstreben des Gleiters waren zerbrochen, konnten aber noch repariert werden. Donal konnte von Glück reden, daß dies nicht auch mit seinen Armen geschehen war. Der Anblick des zersplitterten Felsens machte ihn benommen, sein Kopf dröhnte. Aber ihm wurde bewußt, daß er bei all dem noch das Glück hatte, am Leben zu sein. Er las das zerbrochene Spielzeug auf, ließ die zersplitterten Schwingen herabhängen und begann, sich langsam den Hang zu den Burgtoren hinaufzuschleppen.
»Sie haßt mich«, rief Aliciane entsetzt. »Sie will nicht geboren werden!«
Durch die Dunkelheit, die ihr Gehirn zu umgeben schien, fühlte sie, wie Mikhail ihre bebenden Hände ergriff und festhielt.
»Meine Liebste, das ist töricht«, sagte er leise und drückte die Frau, seine eigenen Ängste fest unter Kontrolle haltend, an sich. Auch er spürte die Fremdartigkeit der Blitze, die rund um die hohen Fenster flackerten und krachten, und Alicianes Entsetzen verstärkte seine eigene Angst. Jemand anders schien im Zimmer zu sein, außer der geängstigten Frau, außer der ruhigen Margali, die mit gesenktem Kopf dasaß, niemanden anschaute, ihr Gesicht vom Schimmer des Matrixsteins blau erleuchtet. Mikhail konnte die besänftigenden Wellen der Ruhe spüren, die Margali bei dem Versuch, sie alle damit zu umgeben, ausstrahlte. Er unternahm den Versuch, Körper und Geist dieser Ruhe hinzugeben, sich in ihr zu entspannen und begann mit den tiefen, rhythmischen Atemzügen, die man ihn gelehrt hatte. Schon bald spürte er, daß auch Aliciane ruhiger wurde.
Woher nur, woher das Entsetzen, der Kampf …
Sie ist es, die Ungeborene … Es ist ihre Angst, ihr Widerstreben … Geburt ist eine Schicksalsprüfung des Entsetzens; es muß jemanden geben, sie zu trösten, jemanden, der sie mit Liebe erwartet… Aldaran hatte bei der Geburt all seiner Kinder assistiert; er hatte die gestaltlose Angst und Erregung des ungeformten Verstandes gespürt, die Kräfte hervorriefen, die dieser Verstand nicht begreifen konnte. Jetzt, während er in seinen Erinnerungen forschte (War eins von Clarizas Kindern so stark gewesen? Von Deonaras Babys war keines fähig gewesen, um sein Leben zu kämpfen. Arme kleine Schwächlinge …), suchte er nach den ungezielten Gedanken des sich sträubenden Kindes, die durch die Wahrnehmung des Schmerzes und der Angst seiner Mutter hin- und hergerissen wurden. Er versuchte, besänftigende Gedanken von Liebe und Zärtlichkeit auszusenden; er formte die geistigen Worte nicht für das Kind – denn das Ungeborene besaß noch keine Kenntnis der Sprache –, sondern für sich und Aliciane, um ihrer beider Gefühle darauf zu konzentrieren, ihm das Gefühl von Wärme und Willkommenheit zu vermitteln.
Du darfst keine Angst haben, Kleine. Bald wird es vorüber sein … Du wirst frei atmen, und wir werden dich in unseren Armen halten und lieben … Du wirst seit langem erwartet und innig geliebt … Er bemühte sich, Liebe und Zärtlichkeit auszustrahlen, und die furchteinflößenden Gedanken an jene Söhne und Töchter aus seinem Geist zu verbannen, die er verloren hatte. All seine Liebe hatte ihnen nicht in die Dunkelheit zu folgen vermocht, die das sich entwickelnde Laran auf ihren Geist geschleudert hatte. Er versuchte, die Erinnerungen an die schwachen und mitleiderregenden Anstrengungen von Deonaras Kindern, die nie lange genug gelebt hatten, um auch nur zu atmen, auszulöschen … Habe ich sie genug geliebt? Hätten ihre Kinder stärker ums Leben gefochten, wenn ich Deonara mehr geliebt hätte?
»Zieht die Vorhänge zu«, sagte er einen Moment später, und eine der Kammerfrauen ging auf Zehenspitzen zum Fenster und schloß den dunkler werdenden Himmel aus. Aber der Donner grollte weiterhin, und das Aufflackern des Blitzes war selbst durch die zugezogenen Vorhänge zu sehen.
»Sieh nur, wie sie sich müht, die Kleine«, sagte die Amme. Margali stand ruhig auf, trat näher, legte behutsam die Hände um Alicianes Körper und versenkte ihr Bewußtsein in die Frau, um ihr Atmen und den Fortgang der Geburt zu steuern. Eine Frau mit Laran, die ein Kind gebar, konnte weder körperlich untersucht noch berührt werden, da die Gefahr bestand, das Ungeborene durch eine fahrlässige Berührung zu
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