Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herrin der Stürme

Herrin der Stürme

Titel: Herrin der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
Vom Netzwerk:
um beruhigende Lügen zu offerieren, aber andererseits war ihre Lage nicht so schlimm, wie Cassandra fürchtete. »Eins der ersten Dinge, die ich in Nevarsin lernte, war, einen Schutz an unwirtlichen Orten zu finden und plötzliche Stürme ohne Schaden zu überstehen. Donal«, fuhr er fort, »ist bei der Eskorte jemand mit etwas Laran, damit du und ich ihn erreichen und die Gruppe von unserer mißlichen Lage unterrichten könnten?«
Donal blieb stehen, um darüber nachzudenken. Schließlich sagte er bedauernd: »Ich fürchte nein, Cousin. Aber ein Versuch kann nicht schaden. Einige Männer können Gedanken empfangen, obwohl sie keine senden können und es nicht für Laran halten.«
»Dann versuche, sie zu erreichen«, wies Allart ihn an. »Sie haben keinen Grund, uns nicht sicher in Tramontana zu vermuten und sollten wissen, daß dem nicht so ist. Inzwischen …« Er ließ seine Blicke auf der Suche nach einer Schutzmöglichkeit schweifen, versuchte die Straße entlang nach vorn zu denken, um zu sehen, ob es irgendein altes Gebäude gab, ein Kotten, eine verlassene Scheune, vielleicht sogar ein bewohnter Platz, wo sie Schutz finden konnten.
Aber soweit er mit seiner Hellsicht blicken konnte, gab es nichts dergleichen. Der Landstrich, den sie durchwanderten, hätte für alle Zeit von menschlichen Füßen unberührt sein können, denn hier vergingen alle Spuren der Menschheit. Seit der kleinen Steinmauer, an der sie ihr Mittagsmahl zu sich genommen hatten, war kein Anzeichen einer Wohnstätte aufgetaucht.
Es war Jahre her, daß Allart sein Überlebenstraining für die Berge hatte einsetzen müssen. Das letzte Mal in seinem dritten Jahr in Nevarsin, als er – mit bloßen Händen und nur mit der Mönchskutte bekleidet – in die schlimmste Jahreszeit hinausgeschickt worden war, um den Beweis zu erbringen, daß er für die nächste Stufe des Trainings geeignet sei. Der alte Mönch, der ihn unterrichtet hatte, hatte gesagt: »Nach einer verlassenen menschlichen Wohnstätte ist der nächstbeste Schutz ein Dickicht aus nahe beieinanderstehenden Bäumen. Danach eine Felsleiste, die vom Wind abgewandt ist und etwas Vegetation trägt.« Allart runzelte die Stirn, versuchte sich zu erinnern und suchte den vor ihm liegenden Weg ab.
Haben wir Zeit, nach Tramontana zurückzukehren? Seine Schritte geistig zurückverfolgend, sah er an dieser Wahrscheinlichkeitslinie nur ihre drei toten Körper, verkrümmt und erfroren am Rand der Straße. Zum ersten Mal in seinem Leben war er dankbar für sein Laran, das ihm ermöglichte, jede Entscheidung, die sie treffen mochten, deutlich vorauszusehen. Denn von den Entscheidungen, die sie jetzt trafen, hing mit Sicherheit ihr Leben ab. Auf dem Weg, der direkt vor ihnen lag, sah er, daß der Pfad enger wurde. Dort konnten sie, geblendet vom immer dichter werdenden Schneefall, einen Fehltritt tun und eine viele Meter tiefe Felsspalte hinabstürzen, wo man ihre Körper nie finden würde. Sie durften diesen Weg nicht weitergehen. Seiner deutlichen Warnung folgend, blieben Cassandra und Donal stehen und erwarteten seine Anweisungen. Sie waren im dichter fallenden Schnee jetzt nur noch verschwommene Gestalten. Von den Höhen hatte ein heftiger Wind eingesetzt, der heulend hinabfuhr.
Ein kurzes Wegstück vor ihnen führte ein Pfad zu einer Felsgruppe hinauf. Die dicht gruppierten Felsen boten fast ebensoviel Schutz wie ein Gebäude. Allart wollte sie gerade dorthin führen. Dann zögerte er und untersuchte mit seinem Laran diese Wahrscheinlichkeitslinie. In panischem Schrecken fuhr er zurück. Die Felsformation war das Nest von Todesvögeln, den schrecklichen, flugunfähigen Fleischfressern, die oberhalb der Baumgrenze lebten und durch einen unfehlbaren Tropismus von allem angezogen wurden, das die Körperwärme des Lebens besaß. Diesen Weg durften sie nicht nehmen!
Sie konnten nicht hier bleiben. Der Wind war stark genug, um sie über die Felskante zu schleudern, und der Schnee um sie herum wurde immer dichter. Cassandra zitterte schon. Zurück nach Tramontana konnten sie nicht. Sie konnten nicht zu den Todesvögeln hinauf und auch nicht den Weg weitergehen, wo der Pfad sich über dem Abgrund verengte. Aber hierbleiben konnten sie auch nicht. Gab es noch eine andere Alternative als den Tod? War es ihr vorbestimmtes Schicksal, in diesem Blizzard zu sterben?
Heiliger Lastenträger, gib mir Kraft! Hilf mir, einen Weg zu sehen, betete Allart. Seit er vom Kloster weg war, hatte er fast verlernt zu beten.

Weitere Kostenlose Bücher