Herrin der Stürme
es nicht für ein Verbrechen, Dieben falsche Münzen zu geben, oder zu lügen, wenn man über alle Höflichkeit hinaus verhört wird. Wenn ich von jemandem, der Recht auf eine Antwort hat, befragt werde, sage ich, daß ich während meiner frühen Mannesjahre dieser Pflicht aus dem Wege gegangen bin und sie jetzt erfüllen will, damit du und ich zusammen weggehen können, ohne daß unerfüllte Verpflichtungen unser Leben überschatten. Du kannst ihnen sagen, was du möchtest.« Ihr Lächeln strahlte ihn an; Allart spürte einen Stich durchs Herz. »Nun, ich werde überhaupt nichts sagen. Ich bin deine Frau, und ich gehe dorthin, wo du hinzugehen entscheidest, das bedarf keiner weiteren Erklärung! Ich sage nicht, daß ich diesen Brauch mag, und auch nicht, daß ich ohne Hader gehorche, wenn du es von mir verlangst. Ich bezweifle, daß du in mir eine unterwürfige Frau vorfindest, Dom Allart. Aber ich werde diesen Brauch nutzen, wenn er meinen Zwecken dient!« Lastenträger, warum konnte das Schicksal mir keine Frau geben, die ich mit Freuden verstoßen hätte, statt dieser einen, die zu lieben mir so leicht gefallen wäre! Erschöpft vor Erleichterung beugte er seinen Kopf vor, nahm ihre schmalen Hände und küßte sie.
Sie sah die Erschöpfung in seinem Gesicht und sagte: »Du bist sehr abgespannt, mein Gatte. Willst du dich nicht niederlegen und schlafen?«
Erneut marterten ihn die erotischen Bilder, aber er schüttelte sie ab. »Du weißt nicht viel von Männern, nicht wahr, Chiya?« Sie schüttelte den Kopf. »Wie sollte ich auch? Jetzt scheint es, daß es nicht mein Los ist«, sagte sie und sah so traurig aus, daß Allart bei aller Entschiedenheit ein fernes Bedauern fühlte.
»Leg dich nieder und schlafe, wenn du möchtest, Cassandra.« »Wirst du denn nicht schlafen?« fragte sie unschuldig. Er mußte lachen.
»Ich werde auf dem Boden schlafen. Ich habe an schlimmeren Orten gelegen, und nach den Steinzellen von Nevarsin ist das der reinste Luxus«, sagte Allart. »Gesegnet seist du, Cassandra, daß du meine Entscheidung akzeptierst.«
Sie schenkte ihm ein schwaches Lächeln. »Oh, man hat mich gelehrt, daß es die Pflicht einer Frau ist, zu gehorchen. Auch wenn es ein anderer Gehorsam ist, als ich vorausgesehen habe, bin ich doch noch immer deine Frau und werde tun, was du befiehlst. Gute Nacht, mein Gatte.« Die Worte waren von zarter Ironie. Auf den weichen Matten des Zimmers ausgestreckt, faßte Allart die ganze Disziplin seiner Jahre in Nevarsin zusammen und schaffte es schließlich, aus seinem Geist die Bilder einer zur Liebe erweckten Cassandra auszulöschen. Nichts blieb, nur der Augenblick und sein Entschluß. Einmal jedoch, vor dem Morgendämmern, glaubte er, eine Frau weinen zu hören, ganz leise, als würden die Laute von Stoffen und Laken gedämpft.
Am nächsten Tag reisten sie zum Hali-Turm ab. Dort blieben sie ein halbes Jahr.
8
Früher Frühling in den Hellers. Donal Delleray, genannt Rockraven, stand auf den Zinnen von Burg Aldaran und sinnierte müßig, ob die Aldaran-Vorfahren diesen hohen Gipfel für ihre Festung gewählt hatten, weil er einen großen Bereich des Umlands beherrschte. Es neigte sich zu den fernen Ebenen und erhob sich dahinter zu den weiten, unpassierbaren Gipfeln, auf denen nichts menschliches, sondern nur die Schweifer und halblegendären Chieri von den fernen Hellers in ihren vom ewigen Schnee umgebenen Festen wohnten.
»Man sagt«, meinte er laut, »daß es hinter dem letzten dieser Berge, so weit im Schneegebiet, daß selbst der erfahrenste Bergsteiger scheitern würde, ehe er einen Weg durch Felsspitzen und Gletscherschluchten fände, ein Tal mit nie endendem Sommer gibt, und dorthin haben sich die Chieri zurückgezogen, seit die Kinder von Hastur gekommen sind. Deshalb sehen wir sie heutzutage nicht mehr. Dort wohnen die Chieri für immer, unsterblich und schön, und sie singen ihre fremdartigen Lieder und träumen unsterbliche Träume.«
»Sind die Chieri wirklich so schön?«
»Ich weiß es nicht, kleine Schwester. Ich habe nie eine gesehen«, antwortete Donal. Er war jetzt zwanzig, hochgewachsen und gertenschlank, dunkelhäutig, mit dunklen Brauen, ein aufrechter und ernster junger Mann, der älter aussah, als er tatsächlich war. »Aber als ich ganz klein war, hat meine Mutter mir einmal erzählt, daß sie eine Chieri in den Wäldern hinter einem Baum gesehen hat, und daß sie die Schönheit der Gesegneten Cassilda besaß. Man sagt auch, daß ein Sterblicher, der
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