Herrin der Stürme
»Dann solltest du dich auch nicht so benehmen, und weder schmollen noch mit dem Fuß aufstampfen, als seist du erst fünf Jahre alt! Das wird mich sicher nicht davon überzeugen, daß du alt genug bist, um Gesprächen über deine Zukunft zuzuhören.«
Dorilys wirkte aufsässiger denn je. »Was glaubst du, wer du bist, daß du so mit mir sprichst? Ich bin eine Lady Aldaran!«
»Du bist ein Kind, das eines Tages die Lady Aldaran sein wird«, bemerkte Renata nüchtern, »und ich bin die Leronis, die dein Vater für geeignet hält, mit der Pflicht betraut zu werden, dir das Benehmen beizubringen, das deinem hohen Rang angemessen ist.«
Dorilys zog ihre Hand zurück und starrte trotzig zu Boden. »Ich will nicht, daß man so mit mir spricht! Ich werde mich bei meinem Vater über dich beschweren, und er wird dich wegschicken, wenn du nicht freundlich zu mir bist!«
»Du kennst die Bedeutung des Wortes Unfreundlichkeit nicht«, sagte Renata milde. »Als ich als Novizin in den Turm von Hali eintrat, um die Kunst einer Überwacherin zu erlernen, durfte vierzig Tage lang niemand mit mir sprechen und mir in die Augen blicken. Das diente dazu, die Verläßlichkeit meines Laran zu stärken.«
»Damit hätte ich mich nicht abgefunden«, sagte Dorilys. Renata lächelte.
»Dann hätte man mich mit dem Wissen nach Hause geschickt, daß ich nicht die Kraft und Selbstdisziplin besäße, das zu lernen, was ich lernen mußte. Ich werde nie unfreundlich zu dir sein, Dorilys, aber du mußt, bevor du anderen Befehle erteilen kannst, erst einmal lernen, dich selbst zu beherrschen.«
»Aber bei mir ist das anders«, wandte Dorilys ein. »Ich bin eine Lady Aldaran, und befehle schon jetzt allen Frauen im Schloß – und auch den meisten Männern. Du bist nicht die Lady deines Reiches, nicht wahr?« Renata schüttelte den Kopf. »Nein, aber ich bin eine Turm-Überwacherin. Und selbst ein Bewahrer wird so erzogen. Du bist dem Freund deines Bruders, Allart, begegnet. Er ist Regent von Elhalyn, und doch schlief er in Nevarsin drei Winter nackt auf Stein und hat in der Gegenwart eines ihm übergeordneten Mönchs nie ein Wort gesagt.« »Das ist schrecklich!.« Dorilys verzog das Gesicht.
»Oh nein. Wir unterwerfen uns diesen Übungen freiwillig, weil wir wissen, daß sie nötig sind, Körper und Geist dahingehend zu erziehen, uns zu gehorchen, damit das Laran uns nicht zerstört.«
»Wenn ich dir gehorche«, fragte Dorilys verschmitzt, »wirst du mir dann eine Matrix geben und mich lehren, sie zu benutzen, damit ich mit Donal fliegen kann?«
»Das werde ich, sobald ich glaube, daß man sie dir anvertrauen kann, Chiya«, antwortete Renata.
»Aber ich will sie jetzt«, beharrte Dorilys.
Renata schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte sie. »Und jetzt geh auf dein Zimmer zurück, Dorilys. Ich werde zu dir kommen, wenn ich mit deinem Vater fertig bin.«
Sie sprach bestimmt, und Dorilys schien ihr zu gehorchen. Aber dann, nach wenigen Schritten, wirbelte sie herum und stampfte zornig mit dem Fuß auf.
»Du wirst die Befehlsstimme nicht noch einmal gegen mich benutzen!«
»Ich werde tun, was ich für angemessen halte«, sagte Renata unbewegt. »Dein Vater hat dich mir anvertraut. Muß ich ihm erzählen, daß du ungehorsam bist, und ihn bitten, dir zu befehlen, daß du mir in allen Fragen gehorchst?«
Dorilys fuhr zurück. »Nein, bitte – erzähl Vater nicht davon, Renata!«
»Dann gehorche mir sofort«, wiederholte Renata und benutzte noch einmal die Befehlsstimme. »Geh zurück und sag Margali, daß du ungehorsam gewesen bist, und bitte sie, dich zu bestrafen.«
Dorilys’ Augen füllten sich mit Tränen. Sie verließ zögernd den Hof, und Renata atmete erleichtert auf.
Wie hätte ich sie zu gehorchen gezwungen, wenn sie sich geweigert hätte? Der Tag wird kommen, an dem sie sich weigert – und ich muß darauf vorbereitet sein!
Mit aufgerissenen Augen starrte eine Dienerin, die den kleinen Wortwechsel beobachtet hatte, sie an. Unwillkürlich nahm Renata die Gedanken der Frau auf: Ich habe meine kleine Lady nie so gehorchen sehen … ohne ein Wort des Widerspruchs.
Also ist es das erste Mal, daß sie gegen ihren Willen gehorcht hat, dachte Renata. Margali – das wußte sie – würde Dorilys nur milde bestrafen und ihr auftragen, lange und uninteressante Säume an Röcken und Unterröcken zu nähen, während sie die Stickrahmen nicht anrühren durfte. Es wird unserer kleinen Lady nicht schaden, zu lernen, daß es Pflichten zu erledigen gibt, zu denen
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