Herrmann, Elisabeth
Rauch, den er anschließend wieder ausstieß,
nachdenklich hinterher. »Was machen wir jetzt mit Ihnen?« Was machen
sie jetzt mit mir?
Trenkner
schaltete sich wieder ein. »Ich wäre im Interesse aller Beteiligten dafür, die
Sache schnell hinter uns zu bringen.«
Dann
lächelte sie. Es war ein Lächeln von der Art, bei dem es Martha eiskalt den
Rücken hinunterlief. Sie hatte es schon so oft auf diesem Gesicht gesehen.
»Was haben
Sie da eigentlich?«
Martha
schaute auf ihren Schoß. Langsam, fast zögernd, gaben ihre Hände das Stofftier
frei. »Ein Monchichi.«
Der Mann
streckte die Hand aus. Sie reichte es ihm widerspruchslos.
»Westsender,
Westspielzeug ... was läuft hier eigentlich noch alles aus dem Ruder?«
Einen
Moment lang verlor Trenkner die Beherrschung. Das Lächeln verschwand, und die
blanke Wut sprang sie an, die sie nur mühsam beherrschen konnte.
»Das hat
selbstverständlich Konsequenzen.«
»Es gehört
nicht mir!« Martha verschluckte sich fast vor Aufregung. »Es gehört...«
Beide
starrten sie an. Der Mann beugte sich leicht vor, um sie besser verstehen zu
können. Plötzlich sah Martha einen dunklen Fleck auf seinem Mantelsaum. Ihr
Blick huschte hinunter zu seinen Schuhen, sie waren staubig und verdreckt.
»Nun?«,
fragte er leise.
Er schlug
den Mantel zurück, der Fleck verschwand in einer Falte. Martha hätte schwören
können, dass es Blut war. Reflexartig sah sie zu Trenkner, doch die verengte
ihre Augen zu schmalen Schlitzen. Hatte sie den Fleck auch bemerkt? War ihr
aufgefallen, dass Martha ihn gerade entdeckt hatte? Die Stellvertreterin
fixierte sie mit ihrem stechenden Blick. Plötzlich wusste sie, dass das der
Moment war, in dem sie sich entscheiden musste. Und sie tat, was sie immer
getan hatte, wenn sie zwischen Anspruch und Loyalität stand. Zwischen
Pestalozzi und Semiliwitsch. Zwischen Beziehung und Erziehung. »Judith«,
vollendete sie den Satz.
Der Mann
hob das Äffchen hoch und musterte es interessiert. »Unserer Ausreißerin? Das
ist aber ein ungewöhnliches Stück.«
Martha
nickte. Er wechselte einen schnellen Blick mit Trenkner. Täuschte sie sich,
oder drückte er seine Zigarette wesentlich nervöser aus, als er sie angezündet
hatte? Er stand auf.
»Sie haben
recht, es ist spät, ich werde noch erwartet. Frau Jonas, wir sind keine
Unmenschen. Im Gegenteil. Wir können Ihnen einfach nur das Leben angenehm oder
unangenehm machen. Was wäre Ihnen lieber?«
»Angenehm«,
antwortete Martha zögernd.
»Dann
einigen wir uns darauf, dass Sie in Zukunft besser auf Judith achten werden.
Das Kind braucht besondere Aufmerksamkeit. Es scheint verwirrt zu sein.«
»Verwirrt«,
wiederholte Martha und nickte.
»Es darf
das Gelände vorerst nicht verlassen. Es sollte von den anderen ferngehalten
werden, bis sich die Aufregung um seinen Ausflug gelegt hat.« Er sah zu
Trenkner. Die spitzte die Lippen und parierte seinen Blick, ohne mit der Wimper
zu zucken. Dann wandte er sich wieder an Martha. »Der Staat hat Ihnen dieses
Kind voller Vertrauen in die Hände gelegt. Enttäuschen Sie ihn nicht.«
Martha
nickte. Sie fühlte noch die Wärme in ihrem Schoß, da, wo sie das Stofftier an
sich gepresst hatte, und begann plötzlich zu zittern.
»Dann
enttäuscht der Staat Sie nämlich auch nicht. Er wird Ihnen eine Chance auf
Wiedergutmachung geben. Ich glaube, Ihnen würde ein neues Radio gefallen. Und
ein paar Schallplatten. Haben Sie einen Plattenspieler?«
Martha
schüttelte den Kopf.
»Dann
werden wir Ihnen einen geben. Und was von diesen Bietschies dazu. Nehmen Sie
nächste Woche einen Tag Urlaub und holen sich alles bei uns in Schwerin ab. Am
Demmlerplatz.«
»Vielen
Dank«, sagte sie leise. »Bei wem darf ich mich melden?«
»Fragen
Sie nach Hubert Stanz.«
Er nickte
und ging. Martha hörte seine Schritte auf dem Flur. Erst waren sie langsam,
dann, als er wohl glaubte außer Hörweite zu sein, wurden sie schnell, beinahe
hastig. Unsicher erhob sie sich. Die Trenkner nahm den Einweisungsbogen, legte
ihn in die Aktenmappe und klappte sie zu.
»Bringen
Sie Ihr altes Radio zur Verwahrung. Sonst noch was?«
Martha
wusste nicht, ob sie damit entlassen war, und schüttelte den Kopf. Die
Trenkner öffnete eine Schublade und legte die Akte hinein. Dann nahm sie ihren
gewaltigen Schlüsselbund und hatte mit einem Griff den passenden gefunden.
»Sie haben
gehört, was Herr Stanz gesagt hat.«
»Ja.«
»Dann
hoffe ich, dass Sie es auch verstanden haben.«
Am Fuß
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