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Herrmann, Elisabeth

Herrmann, Elisabeth

Titel: Herrmann, Elisabeth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeugin der Toten
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rauschte und ihr Schweißperlen auf die Stirn traten. Trenkner
räusperte sich leicht.
    »Mir ist
Ihre Mentalitätsstruktur nicht ganz klar. Seit einiger Zeit habe ich das
Gefühl, dass Ihr politisches und pädagogisches Verantwortungsbewusstsein
gelitten hat.«
    Sie wissen
alles.
    »Vor allem
sonntagabends vernachlässigen Sie Ihre Pflichten.«
    Ich war
doch so vorsichtig. Keiner hat was gemerkt. Ich habe meine Rundgänge gemacht
und nur den einen ein bisschen vor und den anderen ein bisschen weiter nach
hinten gelegt.
    »Frau
Jonas«, sagte der Mann. »Ich frage Sie jetzt zum letzten Mal: Welchen Sender
haben Sie heute gehört?«
    »Radio
... Radio Luxemburg, London«, stammelte Martha.
    Der Mann
hob die Augenbrauen.
    »Und den
Seewetterbericht.«
    Sie
knetete das Äffchen mit ihren feuchten Händen. Es hatte weiches Fell und einen
straffen, harten Bauch. Ganz anders als die Tiemis, die verfilzten und
irgendwann ihre Form verloren. Jetzt, wo alles aus war, spürte sie plötzlich,
was so ein Ding für ein Kind bedeuten musste. Hatte sie nicht selbst auch
einmal eine Puppe gehabt? Nicht so was Schönes wie dieses Äffchen, dazu war
kurz nach dem Krieg kein Geld da gewesen, und andere Sorgen hatten sie auch
gehabt. Eine Puppe, eine mit blonden Haaren und großen, blauen Kulleraugen.
Ein bisschen sah sie aus wie Christel, nein, Judith ...
    »Den
Seewetterbericht«, wiederholte der Mann. »Frau Jonas.«
    »Ich
wollte das nicht!«
    Verzweifelt
sah Martha hoch. In ihren Augen sammelten sich Tränen. »Ich bin da so
reingerutscht! Man denkt an nichts Böses, und plötzlich ... ich kann nichts
dafür ...«
    Was würde
jetzt kommen? Das Haftarbeitslager? Würde man sie verhören? Geständnisse aus
ihr herausprügeln? Hätte sie sich bloß nie darauf eingelassen. Sie verwünschte
den Tag, an dem sie zum ersten Mal...
    »Ich werde
Ihnen sagen, was Sie tun. Als Erzieherin in einem Kinderheim haben Sie sich
heimlich einen leistungsstarken Empfänger angeschafft, um die britische
Hitparade zu hören, nehme ich an.«
    Martha war
sich nicht ganz sicher, ob sie das alles nur träumte.
    »Stimmt's?«
    »Ja.«
    »Die höre
ich auch manchmal.«
    Mit
tränenblinden Augen starrte sie auf den Mann, der jetzt mit einem zufriedenen
Lächeln ein Päckchen Casino aus der Jackentasche zog und sich eine Zigarette
anzündete. Dabei sah er auf seine Armbanduhr, als ob er sich in dieser Sekunde
an eine Verabredung erinnern würde.
    »Diese
Woche ist diese Sindi Lauper auf Platz eins. Ich mag ja die alten Sachen
lieber. Und Sie?«
    Martha
wusste nicht, ob das ein schlechter Witz war.
    »Die ...«,
sie musste sich räuspern, so trocken war ihre Kehle, »die Bee Gees.«
    »Die
Bietschies«, wiederholte der Mann. Er sprach die Namen aus wie jemand, der sie
nicht oft in den Mund nahm. »Da vergisst man schon mal, dass man eigentlich ein
Vorbild sein sollte. Verstehe.«
    Ganz
langsam nickte Martha. Sie verstand das alles eben nicht. Worauf wollten die
beiden bloß hinaus? Die Trenkner schob dem Mann einen Aschenbecher hinüber,
ohne die Angeklagte aus den Augen zu lassen.
    »Dabei hat
man Ihnen doch die Kinder anvertraut, um Symptome einer sozialistischen
Fehlentwicklung schon im Keim zu ersticken. Oder sind Westsender hier im Heim
erlaubt? Sind das ganz neue Methoden?«
    »Natürlich
nicht«, giftete die Trenkner.
    »Und dann
das.«
    Er
schüttelte unendlich bedauernd den Kopf. Verunsichert grub Martha ihre Hände
noch tiefer in den weichen Plüsch. Sie beobachtete, wie er die Asche abstreifte
und dann einen Blick in die Heimakte warf, die immer noch offen vor Trenkner
auf dem Tisch lag. Nachdenklich nahm er den Einweisungsbogen in die Hand.
    »Judith
Kepler. Das ist doch unsere kleine Ausreißerin, oder?«
    Er hielt
ihr das Blatt entgegen. Auf dem Bogen klebte ein Foto von Christel. Der Mann
musste ihr ihre Bestürzung ansehen, denn ein leichtes Lächeln umspielte seine
schmalen, blassen Lippen.
    »Keine
Verwechslung? Schauen Sie genau hin!«
    Martha
gehorchte. An den beiden Längsseiten war das Foto perforiert. In der linken
unteren Ecke erkannte sie den Teilabdruck eines Stempels. Es musste aus einem
Ausweis herausgelöst worden sein.
    »Judith
Kepler«, las sie vor. »Bachstraße 17, Saßnitz ...«
    Der Mann
legte das Blatt wieder zurück. Ein Türmchen Asche fiel von seiner
Zigarettenspitze auf die Tischplatte. Trenkner beugte sich vor und pustete es
entschieden über die Tischkante.
    Was
passiert hier?
    Der Mann
nahm einen tiefen Zug und sah dem

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