Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition)
Hälften haben. Aus alldem schließe ich, daß das Streben nach Eindeutigkeit zwar verbreitet, aber zum Scheitern verurteilt ist.«
5 Während der Fragesteller, ein reizbarer jüngerer Akademiker, noch überlegte, wie er Z.s Volten parieren sollte, fing es am späten Nachmittag plötzlich an zu schneien. Darauf war im April niemand gefaßt, außer einer voluminösen Dame, die in einem Nerzmantel erschienen war. Die Frierenden schimpften, schlugen sich die Flocken von den Schultern und ergriffen die Flucht. Selbst der junge Gelehrte hatte keine Lust mehr, die Diskussion fortzusetzen, und so blieb Herr Z. allein sitzen. Nur die resolute Dame wich nicht von der Stelle. Auch ein schweigsamer Herr, der von Anfang an dabei war, gesellte sich zu den beiden. Er trug einen gutsitzenden Maßanzug und eine Sonnenbrille, die er nie abnahm. Nur eines störte seinen perfekten Auftritt: Sein meliertes Haar wallte ihm über den Nacken, als hätte er es versäumt, einen Friseur aufzusuchen. Obwohl er gut zu Fuß schien, ging er auf einen Spazierstock mit einer Krücke aus Elfenbein gestützt.
Die resolute Dame sah den beiden Männern wortlos zu. Der Schnee tanzte vor ihren Augen. Alle drei warteten geduldig, bis es wieder aufklarte.
6 Ein paar Tage später antwortete Z. auf die Frage, wie er über den Tod denke: »Da, wie ich sehe, keiner von uns dabei ist, zu sterben, ist es verfrüht, darüber zu reden.«
7 »Es heißt, wer A sagt, müsse auch B sagen, und so fort bis zum Ende des Alphabets. Bei der Befolgung dieser Regel«, sagte Z., »bitte ich von mir abzusehen.«
8 Über den Ruhm bemerkte Z.: »Nur in seinem eigenen Bus ist der Berühmte berühmt. Sobald er aussteigt, wird er feststellen, daß da draußen niemand von ihm gehört hat.«
9 Über die Kunst gab Z. zu bedenken: »Man kann der Jugend noch so dringend von ihr abraten – es wird nichts nützen.«
10 »Ich hoffe, meine Freunde, daß ihr mir keine Strategie zutraut«, erklärte uns Z. »Ich bin nicht euer Ohrenbläser. Vor Ratgebern sollte man sich hüten. Sie sind teuer, eingebildet und verfolgen ihre eigenen Ziele.Wie die Militärs im Generalstab glauben sie, man könne sich auf jede denkbare Situation vorbereiten. Ich hoffe, daß Sie mir nichts dergleichen zutrauen. Bei mir dürfen Sie sicher sein, daß ich meine Entscheidungen für mich behalte und die eurigen euch selber überlasse.«
11 Was hingegen die Taktik angeht, so zitierte Z. einen Chinesen aus dem vierten Jahrhundert vor Christus: »Wenn du stark bist, täusche Unfähigkeit vor; wenn du voller Energie bist, gib dich faul. Bring deinen Feind in Wut und verwirre ihn. Stell dich schwächer, als du bist, und nähre seinen Hochmut.«
12 An diesem späten Aprilnachmittag machte ein Regenschauer solchen Erörterungen ein rasches Ende. Wer einen Schirm dabeihatte, spannte ihn auf und bot seinen Nachbarn eine provisorische Zuflucht an. Auf diese Weise kamen sich einige der Zuhörer näher, die sich bis dahin nur vom Sehen kannten. Niemand dachte daran, HerrnZ. zu beschützen, der sich damit begnügte, seinen alten Hut aufzusetzen. Er steckte sich einen Zigarillo an und sah keinen Anlaß, seine Bank zu räumen.
13 Z. sagte: »Ohne die Illusion der Wichtigkeit auszukommen ist gesund.«
14 Gegen die Wahrsagerei sei nichts einzuwenden, erklärte Z., obwohl niemand sie angefochten hatte. Sie gehöre zu den ältesten Gewerben der Welt. »Die Sterndeuter und ihre heutigen Nachfolger sorgen für Abwechslung, dienen der Unterhaltung und sind selten dümmer als ihre Klienten. Ihre Kühnheit gefällt mir, und ihre Prognosen geben auch dann zu denken, wenn sie sich als falsch erweisen.«
15 Z. schärfte uns ein: »Weist mich zurecht, sobald ich gründlich zu werden drohe.«
16 Nach seiner Meinung über die Atheisten gefragt, antwortete Z.: »Was mich an ihnen stört, ist ihr Dogmatismus. Auch mißfällt mir, daß sie eine höhere Intelligenz als die unsrige für undenkbar halten. Diese Annahme scheint mir gewagter als jeder Gottesglaube.«
17 Zu den Übermütigen unter uns sagte Z.: »Wer sich einbildet, daß er zu den Siegern gehört, den wird sein Körper früher oder später eines Besseren belehren.«
18 Als jemand an ihm die ersten Anzeichen von Altersweisheit zu erkennen glaubte, sagte Z.: »Mag sein, aber ich gehe ihr nicht auf den Leim.«
19 »Auch wer leeres Stroh drischt, findet darin ab und zu ein Korn. Trotzdem«, sagte Z., »kann ich dieses Verfahren nicht empfehlen.«
20 »Die Vermeidung«, sagte
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