Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition)
Erasmus zurück, die besagt: Das alles stört die frommen Leser nicht, und wir sollten sie, soweit sie nicht die Absicht haben, uns umzubringen, mit unseren Scherzen verschonen.«
24 Die Epikuräer zweifelten nicht an der Existenz der Götter; doch sie hielten dafür, daß ihnen das Los der Menschen gleichgültig sei. Dagegen wandte Z. ein: »In den Erzählungen der Griechen ist immer wieder vom Lachen der Götter die Rede. Das setzt immerhin voraus, daß die Menschheit ihnen zur Unterhaltung dient.«
25 »Das Ganze gibt es nicht. Weder unsere Wissenschaft noch unsere Phantasie wäre imstande, es zu fassen.« Auf diese These kam Z. des öfteren zurück.
Wenn er von der »Totalität« reden höre, werde ihm schlecht. Dahinter stecke stets eine unredliche Absicht von religiöser, politischer oder intellektueller Art. Er jedenfalls gebe sich mit dem Partiellen nicht nur zufrieden, er wisse es zu schätzen und erfreue sich seiner.
26 Als Z. anfing, vom Mehr oder Weniger zu sprechen, befürchteten wir einen längeren Sermon, also eher ein Mehr als ein Weniger. Die Grenze zwischen Überfluß und Mangel sei instabil; ein Gleichgewicht stelle sich nur ausnahmsweise ein. Ob Natur oder Ökonomie, das sei in diesem Zusammenhang Jacke wie Hose: überall gebe es Oszillation. Längere oder kürzere Wellen, stärkere oder schwächere Amplituden – darauf komme es an. Jeder für sich möge beobachten, wie leicht Begeisterung in Langeweile umschlägt, zum Beispiel jetzt beimZuhören. Den prägnanten Moment exakt zu bestimmen sei nicht leicht, aber der Mühe wert.
27 Von seiner Neigung zur Vielfalt war Z. schwer abzubringen. So pries er, ohne daß er sie verstanden hätte, die chinesische Schrift mit ihren 80 000 Schriftzeichen. Auch lobte er die Erfinder der griechischen, lateinischen, arabischen und kyrillischen Alphabete samt ihren Ziffern und diakritischen Zeichen. Dieser Reichtum errege zwar den Mißmut von Ingenieuren, die den binären Code mit seiner Abfolge von Nullen und Einsen bevorzugen. Er allerdings habe keine Lust, sich mit Texten abzugeben, die nur für Maschinen von Interesse seien.
28 »Vereine sind etwas Schönes«, sagte Z. »Sie sorgen für Gemütlichkeit. Deshalb sind sie so zahlreich. Fleißige Soziologen haben sie unlängst gezählt. 555 000 soll es in Deutschland geben. Die Menge der Mitglieder übertrifft bei weitem die Zahl der Einwohner.« Er wisse zwar nicht, wie vieleInnungen, Parteien, Fußball- und Automobilclubs, Firmen, Schützengilden, Stiftungen und Körperschaften des öffentlichen Rechts ihm offenstünden, doch halte er viel von der Freiwilligen Feuerwehr und von der Telephonfürsorge. Man sollte aber solchen Einrichtungen nicht nur beitreten, sondern aus ihnen, ohne Nachteile zu befürchten, auch wieder austreten können.
29 Als es langsam wärmer wurde, geriet Z. einmal ins Schwitzen. Er entledigte sich seiner alten grauen Jacke und saß fortan meist in Hemdsärmeln da. Nur von seinem Hut ließ er nicht ab.
»Unterhaltungen über das Wetter sind unvermeidlich, aber folgenlos. Man sollte sich von der Meteorologie nicht tyrannisieren lassen.«
Diesen Rat schien der soignierte Herr mit der Sonnenbrille für überflüssig zu halten; denn er folgte Z.s Beispiel nicht. Offenbar lehnte er es ab, im Hemd dazusitzen, ganz gleich, was das Thermometer anzeigte.
30 Segensreich nannte Z. die Erfindung des Rasierapparats. Sie erspare dem Überdrüssigen, der es leid ist, jeden Tag von neuem seinen Bart zu stutzen, die Versuchung, mit dem verlockenden Messer dieser Morgenroutine ein Ende zu machen. Er denke dabei an Adalbert Stifter, der sich eines Tages die Kehle durchschnitt, weil ihm die Idyllen, die er erfunden hatte, zum Hals heraushingen.
31 Z. sagte: »Wie oft haben meine Lehrer von mir verlangt, ich solle mich konzentrieren! Ich habe es vorgezogen, mich zu zerstreuen, oder, obwohl das wie ein schlechtes Wortspiel klingt, mich zu verzetteln.«
32 Über die Erziehung äußerte Z. sich wegwerfend. Als Notwehr gegen die Kinder möge sie ihre Berechtigung haben, aber ihr Nachteil bestehe darin, daß die Erwachsenen sich für klüger hielten als ihre Kinder. Das sei ein schwerer Irrtum, dem sich aber fast alle Eltern, Schullehrer und Professoren hingäben. Er tröste sich darüber miteinem Satz des Wissenschaftshistorikers Otto Neugebauer, der gesagt haben soll, es gebe kein der Menschheit bekanntes pädagogisches System, das fähig wäre, die Lebensgeister aller Kinder zu ruinieren.
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