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Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition)

Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition)

Titel: Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Magnus Enzensberger
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zu rascheln, zu rascheln.

255 Früher sei er oft ins Kino oder, noch viel schlimmer, ins Theater gegangen, sagte Z. Das habe er sich abgewöhnt. Statt dessen lasse er sich Filme, Dramen, Fernsehserien und ähnliche Darbietungen lieber erzählen. Das spare viel Zeit. Man brauche sich nicht einen ganzen Abend lang damit abzugeben. In höchstens zehn Minuten wisse man Bescheid. Wer das Glück habe, eine Putzfrau zu beschäftigen, sollte sich lieber an sie als an irgendwelche Rezensionen halten. »Eine flüchtige Bekanntschaft in einer Eckkneipe tut es auch, ganz zu schweigen von Ihnen, die Sie so freundlich sind, mir hier Gesellschaft zu leisten.«
    Noch ergiebiger als ein einziger Ohrenbläser sei es, wenn drei oder vier verschiedene einem berichteten, was sie gesehen hätten. Es entzücke ihn jedesmal, wie erfinderisch und bedenkenlos diese Resümees ausfielen. Jeder erinnere sich nur an das, was ihn besonders interessiere, und streiche alles, was ihm überflüssig erscheine, also das
meiste.
    Er habe sich überlegt, ob sich dieses Verfahren nicht auch auf die Erzeugnisse der schönen Literatur anwenden ließe, besonders wenn die Verfasser einem eine tage-, ja wochen- oder monatelange Lektüre zumuteten.

256 Ob jemand von uns sein Bewußtsein erweitern möchte, wollte Z. wissen.
    »Ich wüßte nicht, was dagegen spricht«, erwiderte sein liebster Widersacher, der Philosophiestudent.
    »Und wie gehen Sie dabei vor?«
    »Man kann unter den verschiedensten Techniken wählten. Die Mystiker haben einige davon gründlich erprobt. Oder denken Siean die Traditionen der Chinesen und der Inder! Andere ziehen es vor, mit Drogen zu experimentieren. Das ist doch nichts Neues!«
    »Ich verstehe«, sagte Z. »Die Frage ist nur, wozu das alles dienen soll. Ist es überhaupt wünschenswert, das, was wir Bewußtsein nennen, immer weiter aufzublähen? Besteht da nicht die Gefahr, daß einem der Kopf platzt? Könnte man nicht umgekehrt vorgehen und sich dadurch entlasten, daß man sein Bewußtsein reduziert? Den gesammelten Ballast abwirft? Vielleicht wäre das erfrischender und gesünder, auch wenn es einem kaum gelingen wird, bis zur vollkommenen Leere vorzustoßen.«
    »Sie spielen, wie gewöhnlich, mit Worten«, gab Z.s Kontrahent zurück. »Das ist es doch gerade, worauf Techniken wie Meditation, Yoga, Tao und so weiter abzielen. Ein solches Training, das höchste Konzentration erfordert, können Sie ebenso Erweiterung wie Entäußerung nennen. Das sind nur zwei Pole einer und derselben Kraft.«
    »Ich danke Ihnen«, sagte Z., »für Ihre Erläuterung«, und diesmal schien er es sogar ehrlich zu meinen.

257 »Von wegen gemäßigte Zone«, beklagte sich Z. »Bald wird wieder die Zeit kommen, wo man sich hierzulande vermummen muß, sobald man das Haus verläßt. Ohne Mantel, Schal, Handschuhe und festes Schuhzeug wird das Dasein zum Gesundheitsrisiko. Außerdem wird es hier von Tag zu Tag dunkler.«
    Er hatte recht. Die feuchte Kälte und der Bodennebel, der sich zäh über den Wiesen hielt, waren vielen von uns bereits aufs Gemüt geschlagen. Nur der schweigsame Herr im Dreiteiler ließ sich nichts anmerken.
    Wie er uns später verriet, war Z. drauf und dran gewesen, ihn zu fragen, ob er seine Sonnenbrille nicht endlich ablegen wolle. Gerade noch rechtzeitig sei ihm eingefallen, daß der stumme Gast womöglich blind war. »So leicht also«, sagte er, »fällt es uns, zu übersehen, was auf der Hand liegt.«

258 Dann tauchten zwei in Norwegerpullover gehüllte Damen mit Pferdeschwanzfrisuren auf, die an langen Leinen eine buntgemischte Meute hinter sich herzerrten.
    »Das ist ja die reinste Menagerie«, sagte Z.
    »Alles nur Hunde«, sagte einer, der den Park in- und auswendig kannte. »Diese beiden Frauen kommen mir bekannt vor. Das sind Profis. Ihr Job ist es, Haustiere auszuführen, weil die überbeschäftigten Besitzer keine zehn Minuten Zeit haben, um ihnen Auslauf zu verschaffen.«
    »Wieder einer dieser überflüssigen neuen Berufe, mit denen sich überflüssige Menschen ihr Geld verdienen müssen«, schimpfte Z. »Woher wissen Sie eigentlich, daß das Hunde sind? Der eine sieht aus wie ein Pouf, der nächste wie ein Kalb, der dritte wie eine Perücke, und der letzte dahinten kommt arrogant daher wie eine zu kurz geratene Giraffe. Ohne eine DNA-Probe käme man nicht auf die Idee, daß diese Viecher einer und derselben Spezies angehören.«
    »Alles Zuchterfolge«, erklärte der Hundekenner. »Was Sie einen Pouf nennen,

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