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Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition)

Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition)

Titel: Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Magnus Enzensberger
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ärgern, wir sollten ihnen danken, denn sie sorgen für Abwechslung. Stört es Sie, daß Sie umsonst gekommen sind? Mich nicht.«
    »Er könnte uns doch Bescheid sagen oder sich entschuldigen.«
    »Ich lobe mir den Mangel an Disziplin, der hier herrscht. Schließlich sind wir aus freien Stücken da, wo wir sind. Jeder kann kommen und gehen, wie er will. Das ist der Unterschied zwischen unseren kleinen Exerzitien und dem Exerzieren, wie es an den sogenannten Arbeitsplätzen üblich ist. Wir können uns doch auch ohne Herrn Z. unterhalten. Oder fürchten Sie, daß uns nichts mehr einfällt, wenn er nicht erscheint? Das wäre ein schlechtes Zeichen. Jeder von uns könnte seine Rolle übernehmen. Das wäre sicher ganz in seinem Sinn.«
    Auf diese Weise entspann sich eine Unterhaltung anderer Art.

51 Am andern Tag war Z. wieder zur Stelle. »Es ist unhöflich«, sagte er, »seine Melancholie zur Schau zu tragen und seine Mitmenschen mit den eigenen Kümmernissen zu belästigen. Wenigstens in Gesellschaft tut man besser daran, eine heitere Miene zu wahren.
    Auch erleichtert es das Zusammenleben, wenn man auf die Eigentümlichkeiten seiner Gastgeber Rücksicht nimmt. Bei den Engländern gilt es, soweit ich weiß, als unschicklich, das, was einen wirklich interessiert, zu erwähnen, zum Beispiel seine Arbeit, seinen Liebeskummer oder die Pläne, die einen beschäftigen. Die Kunst des small talk , die der Fremdeals leeres Gerede mißversteht, verziert die Langeweile. Dabei kommt schlecht weg, wer allzu geistreich erscheint. Als Oscar Wilde mit Bonmots um sich warf, mochte er zwar unsterbliche Zitate hervorbringen, machte sich damit aber keine Freunde. In einem Pariser Salon ist das anders; dort herrscht der esprit als Zwangsneurose.
    Selbst die unverzeihlichen Verstöße unterscheiden sich je nach dem Längen- und Breitengrad. Es ist ein gravierender Unterschied, ob jemand einen Ziegelstein fallenläßt, einen faux pas oder eine gaffe begeht, ob er in ein Fettnäpfchen oder auf die Hühneraugen tritt oder gar aufs Klavier oder in den Spinat trampelt. In Japan genügt es schon, ein striktes Nein zu äußern, um sich unmöglich zu machen.«

52 »Nur sehr verwöhnte Leute wissen Bilder zu schätzen, auf denen möglichst wenig, am besten aber gar nichts zu sehen ist. Reiche Sammler bezahlen hohe Preise für ihre Minimal Art . Dem Überfluß beim Konsum entspricht der Puritanismus im Wohnzimmer: kahles Design oder Arte povera. Dagegen bevorzugen die Armen üppige Blumensträuße, Heiligenbildchen und Glückwunschpostkarten, um ihre Wände zu schmücken. Ich habe des öfteren Lust«, sagte Z., »es ihnen gleichzutun.«

53 Als ein rüstiger Rentner von ihm verlangte, er möge sich über das Geld äußern, zögerte Z. Alle redeten zwar immerzu davon, aber niemand wisse genau zu sagen, was es eigentlich sei. Sogar ein früherer Präsident der Bundesbank solle einmal gestanden haben, daß das Mysterium der Geldschöpfung sich ihm nicht erschließe.
    Auch könne im übrigen niemand sagen, wieviel von diesem Phantom es überhaupt gebe. Dazu müßte man sich über die Geldmenge einig werden, er jedenfalls finde sich da nicht zurecht. Anscheinend habe man zwischen M 0 , M 1 , M 2 und M 3 , zwischen schwarzem und weißem, zwischen Zentralbank-, Giral-, Fiat- und Kreditgeld zu unterscheiden. Zu berücksichtigen wären außerdem die Sicht- und Termineinlagen bei Banken und bei Nichtbanken, mit oder ohne Kündigungsfrist, Pensionsansprüche, Geldmarktpapiere, Geldfondsanteile, Zertifikate, Target-Guthaben und Repoverbindlichkeiten. Das sei, wie die Ökonomen uns zu versichern nicht müde würden, eine Wissenschaft für sich.

54 Auch die Frage, ob man es anfassen könne, sei schwer zu beantworten. Sein Aggregatzustand wechsle von einem Moment zum andern. Früher sei es offenbar fest gewesen und habe aus Muscheln, Kühen oder Metall bestanden; dann aus Papier; später dachte, wer liquide war, es sei flüssig; den Opfern der Inflation erschien es in Gestalt gasförmiger Blasen. Heute existiere es meist nur noch gänzlich körperlos und quasi vergeistigt als eine Folge von elektronischen Ziffern. Fest stehe bloß, daß wir alle mehr oder weniger daran glauben müßten. Wir hingen also von einer Fiktion ab, vor der Grimms Märchen verblassen. Mehr falle ihm dazu beim besten Willen nicht ein.

55 Mit dieser Auskunft gab sich der energische Rentner nicht zufrieden. Z. sei nicht auf den Unterschied zwischen dem eigenen und dem fremden Geld

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