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Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition)

Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition)

Titel: Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Magnus Enzensberger
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Statt einer Vorrede
    Man muß sich Herrn Zett als einen Menschen vorstellen, der seine Hintergedanken für sich behält, seine Sorgen mit Fassung trägt und auf das Gute ungern verzichtet. Von untersetzter, rundlicher Gestalt, wird er dem Betrachter nur durch seine Gelassenheit und dadurch auffallen, daß er verschwenderisch mit seiner Zeit umgeht. Falls er einen Beruf hat, so erwähnt er ihn nie.
    Seine hechtgrauen Augen sind hellwach, doch wer ihn beobachtet, merkt ihm an, daß er kurzsichtig ist. Zu seinem altmodischen Anzug im Salz-und-Pfeffer-Muster trägt er eine braune Melone, die er gewöhnlich neben sich auf seine Bank legt.
    Wenn das Wetter es zuließ, konnte man Herrn Zett fast ein ganzes Jahr lang nachmittags im Park antreffen, abseits von den Hauptwegen, an einem von Hainbuchenhecken geschützten Ort, an dem, abgesehen von ein paar hungrigen Staren, Ruhe herrschte.
    Keiner von uns hätte erklären können, auf welche Weise wir zum ersten Mal mit Herrn Zett ins Gespräch gekommen waren. Wir soll hier eine zufällig zusammengewürfelte Menge von Passanten bedeuten, die ab und zu stehenblieben und ihm zuhörten. Die meisten gingen nach einer Weile kopfschüttelnd ihrer Wege. Andere stellten ihm Fragen oder verwickelten ihn in Diskussionen.
    Am Ende waren nur noch drei von uns übrig. Warum haben wir beschlossen, einer Mitwelt, die nie von Herrn Zett gehört hat, von unseren Unterhaltungen Kunde zu geben? Er selber ist selbstverständlich der wirkliche Verfasser unseres Konvoluts, obwohl er, soweit wir wissen, nie einen seiner Sätze zu Papier gebracht hat. Freilich können wir uns für die Richtigkeit unserer Notizen nicht verbürgen. Zum einen, weil die Erinnerung, wie er uns mehr als einmal eingeschärft hat, trügt; zum andern aber, weil wir uns oft streiten.
    War es die Schüchternheit oder der Hochmut, was bei Herrn Zetts Auftritten überwog? Hat er dies oder jenes wirklich gesagt? Das bildest du dir nur ein, sagt der eine. Ich weiß es genau, erwidert der andere, und der dritte schlägt einen Handel vor: Jeder von uns soll aufschreiben dürfen, was er will. Das hätte Herrn Zett gefallen; und darauf hat sich unsere Troika am Ende geeinigt.

1 Am ersten oder zweiten Tag unserer Begegnung, es war Anfang April und die Bäume schickten sich an, ihren langen Streik zu beenden, sagte Z., er frage sich, warum wir ihm eigentlich zuhörten. Er fühle sich nicht alt genug, um Jünger zu haben, und es liege ihm fern, sich für einen Meister zu halten. Um Mitbrüder könne es sich bei uns nicht handeln, da er mit denen, die sich hier eingefunden hätten, weder verwandt noch verschwägert sei. Auch sehe er sich nicht als Lehrer; denn das könnte bedeuten, daß er selbst nichts mehr zu lernen hätte. Man könnte ihn vielleicht für einen Redner halten, aber dazu fehle es ihm an Übung und an einer Tribüne. Er brauche kein Podium und sei bemüht, sich kurz zu fassen. Wer einen Anführer suche, sei hier ebenso fehl am Platz wie einer, der Anhänger um sichscharen wolle. Wir alle seien bloß Passanten, die sich in aller Freundschaft ein wenig unterhalten möchten.

2 »Wenn es euch gelingt«, sagte Z., »etwas zu finden, was eure Bewunderung verdient, spart nicht mit dieser angenehmen Regung.«

3 Z. sagte: »Widersprecht mir, vor allem aber widersprecht euch selbst. Nur an dem, was einer nicht sagt, sollte er stets festhalten.«

4 Einer von uns raffte sich zu einer Erwiderung auf. »Sie sprechen in Rätseln, und ich fürchte, daß das in Ihrer Absicht liegt. Für die anderen hier kann ich natürlich nicht sprechen, aber mir persönlich wäre es lieber, wenn Sie sich weniger zweideutig ausdrücken würden.«
    »Sie haben mich durchschaut. Aber halten Sie die Ambiguität für eine bloße Marotte? Bedenken Sie bitte, daß wir Zweihänder sind. Links und rechts, das ist zwar leichtzu verwechseln, aber beileibe nicht dasselbe. Unsere Asymmetrie hat auch ihre Vorteile. Es gehören zwei Hände dazu, sich zu waschen, ein Baby zu wickeln oder einen Knopf anzunähen. Unsere Gesichtszüge sind nicht spiegelbildlich; wenn jemand Ihr Paßbild kopieren und die beiden Seiten vertauschen wollte, würden Sie sich in dieser Collage nicht wiedererkennen. Oder versuchen Sie einmal, sich zuerst das eine und dann das andere Auge zuzuhalten. Sie werden feststellen, daß Ihre Wahrnehmung stereoskopisch ist, und daß die Welt je nach Ihrer Perspektive anders aussieht. Auch das Gehirn soll ja, wie ich mir sagen ließ, zwei sehr verschiedene

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