Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition)
Öffnungen oder durch Kiemen zu atmen. Das war eine ziemlich einfache Lösung.«
»Jetzt wird Herr Z. sicher wieder auf den alten Brehm zurückkommen«, murmelte einer von uns.
Aber der Zoologe setzte seine Lektion ungerührt fort. »Dagegen haben Reptilien, Amphibien, Vögel und Säugetiere sich, genau wie wir, auf ein höchst komplexes und aufwendiges Organ kapriziert. Damit es uns nicht den Atem verschlägt, brauchen wir Lungen, und das heißt: Schnupftücher, Penicillin, Röntgenbilder, Sanatorien und so weiter.«
Dem hatte Z. nichts entgegenzusetzen. Er zündete sich schweigend einen Zigarillo an. Daraufhin fingen mehrere der Anwesenden an zu husten, und ein paar andere machten sich aus dem Staub.
248 »Ich glaube, es war eine amerikanische Philosophin, die den Begriff Historical Luck geprägt hat. Unglücklicherweise ist mir ihr Name entfallen. Sie werden aber auf Anhieb verstehen, was sie damit meint. Dazu braucht es kein Horoskop; elementare Geschichts- und Geographiekenntnisse reichen aus.
Stellen Sie sich vor, Sie wären als Tochter einer Küchenmagd 1610 geboren, oder als Sohn eines jüdischen Schusters dreihundert Jahre später in Galizien, oder meinetwegen auch vor ein paar Jahen als Waisenkind in Somalia. Ausgesprochen schlechte Karten; denn früher oder später wären Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit verhungert, oder sie wären ermordet worden. Eine solche Überlegung versetzt der Idee der Gerechtigkeit einen Stoß, von dem sie sich schwer oder gar nicht erholt.«
249 Z. ärgerte sich über den englischen Ausdruck brain drain , der sich in den endlosen Debatten über die Migration eingebürgert hat.
»Millionen von Menschen verlassen ihre Heimat, weil sie anderswo etwas Besseres zu finden hoffen als den Tod. Darunter sind oft die am besten ausgebildeten Bewohner des Ursprungslandes. Damit kommen die Talente von Wissenschaftlern, Ärzten, Technikern und anderen Fachleuten der Gesellschaft zugute, die sie aufnimmt, während die Region, die sie verlassen, weiter verarmt.
Manche halten solche Migrationsgewinne für skandalös. Aber an wen richten sich ihre Vorwürfe? An die Landflüchtigen, oder an diejenigen, die sie willkommen heißen?«
To drain , fuhr Z. fort, bedeute wörtlich »auslaugen, ausbluten«. Das Einwanderungsland erscheine so als neokolonialer Vampir, der von der Vitalität der Flüchtenden profitiert.
»Umgekehrt, liebe Selbstbezichtiger! Denn die Wahrheit ist, daß es sich nicht um einen brain drain , sondern um einen brain squeeze handelt. Viele, wenn nicht die meisten Länder des Planeten werden von Leuten regiert, die alles tun, was in ihrer Macht steht, um jede einheimische Regung von Intelligenz loszuwerden. Zu diesen Ländern hat vor ein paar Jahrzehnten auch Deutschland gehört, das sich, wie wir alle wissen, von der Vertreibung seiner besten Köpfe bis heute nicht erholt hat. Ein solcher Exodus ist keine Seltenheit. Eine Aufzählung jener Staaten, die auf diese Weise ihre eigene Zukunft sabotieren, nähme so bald kein Ende.
Die Folgen sind kaum absehbar. Während sich zertrümmerte Häuser und verminte Straßen, zerstörte Wasserleitungen und Kliniken im Lauf von einigen Jahren reparieren lassen, sind die vertriebenen Talente auf Generationen hinaus nicht zu ersetzen. Warlords, Diktatoren und Kleptokraten hinterlassen nicht nur verbrannte Erde, sondern ein hoffnungsloses Vakuum in den Gehirnen.«
250 »Auch der eifrigste Lobredner der Biodiversität gerät ins Stottern, wenn es um Stechmücken, Wanzen und Zecken geht. Das gilt auch für die menschliche Vielfalt von Naturbegabungen, zu denen die Dummheit gehört. Ihre Varietäten sind so zahlreich wie die der Lilien, nur nicht so gut erforscht. Darf ich Sie auf eine von ihnen, die gewöhnlich unterschätzt wird, aufmerksam machen?«
Von der flächendeckenden Dummheit gelte es, sagte Z., die punktuelle zu unterscheiden. Einen Naturdeppen einzuschätzen falle leicht. Beklemmender werde einemzumute, wenn ein kluger Mensch sich unversehens als Idiot erweise. Da sei guter Rat teuer. Keine Leuchte der Wissenschaft, kein angesehener Philosoph, kein berühmter Dichter, der dagegen gefeit wäre, plötzlich blödsinnige Reden zu führen. Ein Beispiel sei die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, zweifellos eine intelligente Frau, die sich zu der idiotischen Behauptung verstiegen habe, »wenn der Euro scheitert, scheitert Europa«. Mag sein, denke er, daß sie sich selber an den Kopf greifen wird, sobald sie wieder zur
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