Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition)
vorbehalte. Er stehe stets in ausreichender Menge zur Verfügung und verfliege rasch. Die kleinen Ausfälle, die er verursache, hätten ihr Gutes; denn sie erleichterten das Gemüt. Wem die Gelassenheit mißfalle, der lasse es an der Ökonomie der Gefühle fehlen.
62 »Wie kann ich im voraus wissen«, sagte Z., »was ich übermorgen denken werde, wo ich mir nicht einmal sicher sein kann, was ich vorgestern dachte?«
63 Eine Theory of Everything könne es, so Z., schon aus theoretischen Gründen nicht geben. Was die Mathematik betreffe, habe Gödel dazu das Nötige gesagt. Deshalb sei auch das Standardmodell der Physiker eineFata Morgana, die mit jedem neuen Schritt, den er tue, vor dem Forscher zurückweiche.
Das schließe wissenschaftlichen Fortschritt nicht aus. Im Gegenteil! Jede Evolution prozediere auf diese Weise. Verwunderlich sei eher die verbreitete Vorliebe für lückenlose Modelle und die Sehnsucht nach widerspruchsfreien Erkenntnissen.
64 Ob auf die Wissenschaft Verlaß sei, wollte ein neugieriger Philosophiestudent wissen. »Das ist eine Frage der Perspektive«, antwortete Z. »Wenn Sie das Licht anknipsen, vertrauen Sie auf die Resultate, die eine lange Kohorte von Forschern erzielt hat. Sie kennen doch, wenigstens dem Namen nach, Volta, Ampere, Ohm, Maxwell und so weiter!
Wenn Sie höher hinauswollen, weil Ihnen die Brauchbarkeit nicht genügt, und die Frage nach der Wahrheit stellen, sollten Sie sich an Hermann Weyls Bekenntnis halten. Dieser deutsche Mathematiker sagte nämlich: ›Ich versuche das Wahre mit dem Schönen zu verbinden; aber vor die Wahl gestellt,entscheide ich mich für die Schönheit.‹ Was Sie vorziehen, müssen Sie schon selber wissen.«
65 There is no free lunch. Was wie ein bornierter sozialpolitischer Slogan anmutet, ist, wenn man Z. Glauben schenken will, gar nicht so ohne. Nicht nur in der Ökonomie, sagte er, habe fast alles seinen Preis. Überall, auch im Alltag, in der Biologie, im technischen Fortschritt, wohin man blicke, lauere nicht nur der Überfluß, sondern auch der Verzicht.
66 »Allerdings«, fügte er hinzu, »läßt sich aus einer begrenzten Zahl von Elementen und einem kleinen Vorrat von formalen Regeln eine enorme, praktisch grenzenlose Menge von komplexen Produktionen erzeugen. So in der natürlichen Sprache durch Vokabular und Grammatik, in der Chemie durch die Bildung immer größerer Moleküle, in der Biologie durch die Codierung der DNA und der RNA und so fort. Die fraktale Schönheit der Farne kann ein Mathematiker aus einer relativ einfachen Formel entwickeln; wenige Variable genügen, um eine große Formenvielfalt zu erzeugen. Ein Waldspaziergang reicht aus, um sich davon zu überzeugen. Ein noch eindrucksvolleres Beispiel gibt der Ameisenhaufen am Wegrand ab. Oder denken Sie an das unendlich reichhaltige Repertoire, das die Musik erzeugt, indem sie mit endlichen Spielregeln operiert. Diese Mannigfaltigkeit ist ein Trost, der für jeden Verzicht entschädigt.«
67 Z. hatte eine Vorliebe für obskure Listen, die er, ohne daß ihn jemand darum gebeten hätte, gerne vortrug. Diesmal war es ein Katalog aus der Botanik, mit dem er uns bedachte. Die korrekten wissenschaftlichen Bezeichnungen könne er sich nicht merken. Das, was die deutschen Pflanzennamen hergäben, reiche ihm aus. Hinreißend finde er ihren Versuch, mit der unerreichbaren Mannigfaltigkeit der Evolution zu wetteifern.
Er wollte wissen, ob uns Namen wie Franzosenholz , Sauersack , Baumwürger oder Mottenkönig etwas sagten. VerlegenesSchweigen. Offenbar war kein wahrer Pflanzenfreund unter uns.
»Schade«, sagte Z. »Sie kennen also weder die Mittlere Zaubernuß noch die Gewöhnliche Hirschzunge, ganz zu schweigen vom Javanischen Giftbaum und vom Weichen Frauenmantel.«
Diesem Mangel lasse sich aber leicht abhelfen; denn er kenne einen Ort auf diesem Planeten, wo man alle diese Kreaturen bequem und an einem einzigen Nachmittag beobachten könne. Das sei der Botanische Garten.
68 Auf den kam Z. immer wieder zurück. Er hoffe, niemand hier habe etwas gegen den Luxus einzuwenden. Wer ihn schätze, dem könne er den Weg weisen. Reiseführer, die mit Sternen um sich würfen, könne man sich sparen. Die wollten einem weismachen, die sogenannten Sehenswürdigkeiten bestünden aus Burgruinen, Schlössern, Domen und anderen Antiquitäten. Auch werde man dort mit Gabeln oder Kochmützen auf teure Restaurants hingewiesen, die angeblich einen Umweg oder sogar eine eigene Reise
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