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Herrndorf, Wolfgang - Sand

Herrndorf, Wolfgang - Sand

Titel: Herrndorf, Wolfgang - Sand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Troll Trollson
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an seinen Kleidern zerrten, seine Taschen durchsuchten. Sie zogen ihm die Schuhe und die Socken aus. Sie öffneten seine Hose und griffen zwischen seine Beine. Er wand sich hin und her. Die Plastiktüte rutschte ihm vom Kopf. Sie zogen ihm die Schuhe wieder an. Dann hörte er die drei Männer davongehen. Der Wind wehte Wortfetzen herüber. Schließlich kamen sie zurück. Dr. Cockcroft leuchtete Carl mit einer Taschenlampe ins Gesicht, überprüfte die Kordel, die den Knebel fixierte, und stieg dann mit den anderen in den Jeep. Offenbar, um zu schlafen.
    Carl schlief nicht. Der zusammengeknüllte Lappen in seinem Mund verwandelte sich über Nacht in einen riesigen, schleimigen Klumpen. Sein Kiefer war wie gelähmt. Die gefesselten Hände und Füße spürte er schon lange nicht mehr.
    Er war froh, im ersten Licht des anbrechenden Tages den Bassisten aus dem Auto steigen zu sehen.
    Dr. Cockcroft machte gymnastische Übungen. Kniebeugen, Holzhacken, Liegestütz. Der Bassist klagte über die Arbeitsbedingungen. Der Syrer presste seine Stirn auf den Boden und pries den Barmherzigen. Nachdem jeder der drei Männer einen Apfel gegessen hatte, banden sie Carl von der Stoßstange los, nahmen ihm die Fußfesseln ab und zogen ihn an einer langen Leine hinter sich her den Berg hinauf, über den Berg und hinunter ins nächste Tal – und auf die Goldmine zu. Auf fast demselben Weg, den er wenige Tage zuvor mit Helen gegangen war.
    Schon in der Nacht, beim Anblick der Bergformationen, die sich als schwarze Dreiecke vor dem besternten Himmel abzeichneten, hatte Carl eine Ahnung gehabt, wohin sie ihn gebracht hatten. Aber er hatte diesen Gedanken immer wieder verworfen, und noch eine ganze Weile, während sie sich dem kleinen Plateau auf der gegenüberliegenden Bergflanke näherten, auf dem ein Windrad, ein paar Fässer und die Hütte Hakims III standen, hielt Carl es für möglich, dass alles nur ein Zufall war. Zu fest war seine Überzeugung gewesen, in dieser Mine gebe es nichts zu holen.
    Einige zwanzig Meter unter dem Stolleneingang und der Hütte legten sie ihn hinter einem Felsblock auf den Bauch, banden seine Füße mit einem Strick über den Rücken an seinem Hals fest und ließen ihn liegen.
    Der Knebel in seinem Mund schien immer noch weiter aufzuquellen. Er atmete angestrengt durch die Nase, wälzte sich herum und stöhnte. Die Sonne wanderte über den Bergkamm. Von oben glaubte er Stimmen zu vernehmen, er konnte aber den Kopf nicht dorthin wenden. Dann war es lange still. Dann kam der Bassist den Berg hinunter, überzeugte sich, dass der Gefangene noch an derselben Stelle lag, und verschwand erneut. Schließlich kamen die Männer zurück, befreiten Carl von dem Strick auf seinem Rücken und nahmen ihm den Knebel aus dem Mund. Offenbar durfte er jetzt schreien, wenn er wollte. Er schrie nicht. Er hätte auch kaum gekonnt.
    Aus einer Trinkflasche füllte der Syrer Wasser in eine Karbidlampe; den spärlichen Rest Flüssigkeit schüttete er über Carls Gesicht.
    Cockcroft, den Carl in Gedanken schon lange nicht mehr mit Doktor anredete, sagte ein paar Worte in einer Sprache, die Carl nicht verstand, und der Bassist antwortete. Dann führten sie ihn zum Stolleneingang hinauf und zerrten ihn durch einen mit einem rußschwarzen Handteller plus vier Fingern markierten Gang in den Berg. Es folgte eine linke Rußhand mit Zeigefinger und Ringfinger und eine rechte Hand ohne Daumen. Von Hakim und seinem Gewehr keine Spur.
    Der Schein der Lampe fiel auf eine rostige Metalltür, die in den Fels gekantet war und an die Carl sich nicht erinnerte. Mit einem kräftigen Ruck öffnete der Syrer sie. Dahinter ein mittelgroßer Raum. Hacken und Schaufeln, Eisenstangen und Seile, große Holzkisten mit der Aufschrift «Zurück an Daimler Benz AG Werk Düsseldorf». Zerklopfte Steine, Staub, Seilschlingen. Die Werkzeugkammer eines Bergarbeiters.
    In der Mitte des Raums ein Stuhl, dessen Sitzfläche mit Bast bespannt war. Darauf setzten sie Carl und fesselten ihn. Und sie fesselten ihn nicht nur, sie verschnürten ihn. Fast eine Stunde verging, bis der Syrer und der Bassist mit dem Ergebnis zufrieden schienen. Dann waren Carls Ellenbogen hinter der Stuhllehne zusammengebunden, Füße und Unterschenkel an den vorderen Stuhlbeinen fixiert und mehrere Meter Seil um seinen Oberkörper gewunden. Von hinten schlang sich eine Kordel um seinen Hals. Sogar über die Oberschenkel liefen Stricke. Zuletzt entfernte der Syrer die Handschellen und band die

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