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Herrndorf, Wolfgang - Sand

Herrndorf, Wolfgang - Sand

Titel: Herrndorf, Wolfgang - Sand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Troll Trollson
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zurückzukehren, und beobachtete sich wie ein von sich Getrenntes. Aber Cockcroft und der Syrer beobachteten ihn auf die gleiche Weise, um genau das zu verhindern. Sie reduzierten die Stromstärke und ließen nicht zu, dass er ein zweites Mal entkam.
    «… ein bisschen unterhalten.»
    «Wie vernünftige, zivilisierte Menschen.»
    «Nichts weiter.»
    «Hier ist das.»
    «Schulkinder.»
    «Im Ernst.»
    «Ihr Name.»
    «Und wirklich Psychologie. Sechs Semester.» Satzfetzen ohne tieferen Sinn.
    Mehrere Minuten lang war schon nichts mehr passiert. Es sah nach einer Pause aus. Dicker Zigarettenrauch, drei glimmende Punkte. Cockcroft redete. Carl versuchte, von Körper auf Geist umzuschalten. Gedankenfetzen. Er dachte an Helen und dass sie abgereist war, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Er dachte an das Meer und an den Brand in Tindirma. An Helens Pick-up. War sie wirklich abgereist, oder hatten sie sie auch entführt? Würde es wohl einmal einen Schluck Wasser geben? Und war es überhaupt sinnvoll zu kooperieren, oder zog jeder Versuch einer Antwort die peinliche Prozedur nur unnötig in die Länge? Es sah sich im Geiste in seidener Bettwäsche liegen, und dann wusste er mit einem Mal, warum sie hier waren.
    Es war so einfach, dass es schmerzte: weil er sich seine Verfolger in den letzten Tagen eben doch nicht eingebildet hatte. Sie hatten ihn verfolgt – hatte Cockcroft es nicht selbst gesagt? Sie brauchten einen abgeschiedenen Ort, wo sie ihn in Ruhe verhören konnten. Und weil sie ihm die ganze Zeit und also auch bei seinem Ausflug mit Helen auf den Fersen gewesen waren, waren sie auf das Bergwerk gestoßen. Ideal für ihre Zwecke. Hakim konnten sie einfach bestochen oder aus dem Weg geräumt haben. «Oder der war gar nicht da!», sagte Carl aus Versehen laut und grübelte, ob diese Hypothese auch stichhaltig war. Aber ihm fielen keine Gegenargumente ein, und folglich ging es um den Kugelschreiber. Nicht um das Bergwerk, eindeutig um den Kugelschreiber. Und um die beiden Dings. Die Dings aus Metall.
    «Die Dings», sagte er laut.
    Cockcroft betrachtete ihn mit schiefgelegtem Kopf. «Die Dings, die beiden Dingskapseln», sagte Carl. «Ich habe sie.»
    Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, war er hundertprozentig überzeugt, das Richtige getroffen zu haben. Die Dingskapseln, das war es, darum ging es, und sie verhörten ihn hier, weil sie den Ort während der Verfolgung zufällig entdeckt hatten. Er hätte vor Glück und Zuversicht gestrahlt, wenn ihm nicht eingefallen wäre, dass ihm die Dingskapseln, die er verloren hatte, nicht im Geringsten weiterhelfen konnten. Und dass man in dieser kargen Bergregion niemanden unbemerkt verfolgen konnte, kam ihm nicht in den Sinn.
    «Die Dingskapseln», sagte Cockcroft und lächelte spöttisch. «Sie haben die Dingskapseln. Kann es sein, dass wir eine kleine Pause brauchen?»
    Er gab dem Syrer und dem Bassisten ein Zeichen, und die beiden verließen den Raum. Auf dem Gang hörte man Lachen.
     

    DIE STASI
     
    A tale told by an idiot, full of sound and fury, signifying nothing.
    Shakespeare
     
    Cockcroft beugte sich zum Gefangenen vor. Er nahm einen letzten Zug aus seiner Zigarette und blies den Rauch höflich nach oben. Mit trostlos aufrichtiger Miene saß er Carl gegenüber, die Beine übereinandergeschlagen. Sein einer Fuß stand neben dem schwarzen Kästchen, der andere wippte in der Luft, während Carl vollkommen damit beschäftigt war, sich einen akzeptablen Aufenthaltsort für die Dingskapseln zurechtzulegen. Er wollte nicht den Anschein erwecken, lange darüber nachdenken zu müssen, und platzte heraus: «Ich habe sie Adil Bassir gegeben.»
    «Ich weiß nicht, was Sie mit Dingskapseln meinen», sagte Cockcroft, «aber während wir uns hier gepflegt unterhalten, möchte ich Sie auf einen kleinen Umstand aufmerksam machen, der mir wichtig erscheint und der Ihnen unbekannt sein muss. Und ich meine nicht den Umstand, dass Herr Adil Bassir und seine drei Schergen wohl kaum in voller Rüstung und fahnenschwenkend hinter Ihnen her gewesen wären, wenn Sie ihm die von Ihnen so genannten Dingskapseln – oder was auch immer – vorher ausgehändigt hätten. Nein, ich meine den Umstand, dass ich gestern noch zwei Stunden mit Prof. Martinez gesprochen habe, einer absoluten Koryphäe auf dem Gebiet. Der Koryphäe. Es ist nicht ganz leicht, hier Ferngespräche durchzukriegen, und es kostet ein Vermögen, aber Prof. Martinez, um das mal in aller Bescheidenheit zu sagen, ist

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