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Herrndorf, Wolfgang - Sand

Herrndorf, Wolfgang - Sand

Titel: Herrndorf, Wolfgang - Sand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Troll Trollson
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dem Kugelschreiber ging, warum hatten sie ihn dann hierhergebracht? Das ergab keinen Sinn. Er driftete ab, er antwortete mechanisch, in seinem Kopf erschienen Bilder. Ein immer wiederkehrendes Bild war, wie er von einem Hochhaus fiel und mit einem erfreulichen Klatschen aufschlug. Nichts davor und nichts danach, keine Geschichte, nur der Sturz und das Aufschlagen. Ein anderes Bild war der Alte mit seiner Flinte. Über Kimme und Korn zielend stürzte er durch die Metalltür und schoss. Cockcrofts Kopf flog auseinander wie eine vollbärtige Wassermelone, dann kamen der Bassist und der Syrer dran. Und sie gaben ihm Stromschläge. Es waren nicht einmal Tagträume. Carl tat nichts dazu, und er konnte auch nichts dagegen tun. Jemand in seinem Kopf schnipste mit den Fingern, und schon öffnete sich lautlos die Tür, und Hakim von den Bergen sorgte für Gerechtigkeit. Was hatten sie mit ihm gemacht? Hatten sie ihn außer Gefecht gesetzt? Bestochen? Gehörte er auch zu ihnen?
    Es gelang ihm nicht, darüber nachzudenken. Er hatte Schmerzen, und wenn er keine Schmerzen hatte, geisterte die Erwartung der Schmerzen durch seinen Körper und löschte die Gedanken. Er hatte das Gefühl, sein Leben hänge von diesen Gedanken ab, von der Fähigkeit, sich zu konzentrieren und logisch zu erschließen, was sie mit dem alten Bergarbeiter gemacht hatten, der der Einzige war, der ihn noch retten konnte, und dann wieder schien es ihm, als hinge sein Leben nicht davon ab und als sei der Alte ein von seinen Gedanken vollkommen unabhängiges System. Und plötzlich fiel es ihm ein. Worum es bei alledem ging. Es ging nicht um die Mine. Es ging auch nicht ums Gold. Es gab hier kein Gold. Aber etwas anderes. Etwas Verborgenes. Was sie nicht finden konnten. Er hob mühsam den Blick, sah Cockcroft fest in die Augen und sagte: «Ich führe Sie hin.»
    «Bitte?»
    «Ich kann nicht mehr. Ich hab genug.» Carl versuchte, selbstbewusst zu klingen, und weil er wusste, dass seine Mimik ihn verraten würde, ließ er den Kopf auf der Brust hin und her rollen. «Wenn Sie mich losbinden, führe ich Sie hin.»
    «Wohin?»
    «Es ist weiter unten im Berg. Ich kann’s nicht beschreiben. Ein Gang mit nur einem Finger. Ich weiß, wo er ist. Ich führe Sie hin.»
    Lange Sekunden vergingen, dann kam der nächste Stromschlag, und Carls Kopf schleuderte herum.
    Das war es also auch nicht. Aber was zum Henker wollten sie dann hier?
    «Darf ich eine Frage stellen?»
    «Nein», sagte Cockcroft und trat auf den Schalter. «Und Sie dürfen auch keine Fragen stellen, ob Sie Fragen stellen dürfen.»
    «Warum hier!», rief Carl. «Warum verhören Sie mich ausgerechnet hier?»
    «Was ist denn das für eine Frage?» Cockcroft sah den Gefangenen stirnrunzelnd an. «Wollten Sie auf einem öffentlichen Marktplatz gefoltert werden? Ich mag Ihre Mittelschülerintelligenz auf keine allzu harte Probe stellen, aber das, was wir hier tun, ist mit den Gesetzen dieses Landes nicht vereinbar. Mit unseren übrigens auch nicht.»
    Und so ging es weiter. Auf die Frage, warum er im Leeren Viertel gewesen sei, sagte er, er möge die Kinks lieber als die Beatles, auf die Frage, für wen er arbeite, sagte er, er möge die Beatles lieber als Marshal Mellow, und auf die Frage, wie sein richtiger Name sei, sagte er, das Bohnengericht werde über sie kommen. Und sie gaben ihm Stromschläge.
    Der Schmerz war nichts Begrenztes. Nicht vergleichbar mit einem Zahnschmerz etwa, der die Seele des Menschen in einem Punkt konzentriert. Es war eher ein Hin- und Herfluten, eine Theateraufführung, die teils in seinem Körper, teils in den Gesichtern der Zuschauer stattfand. Die kreischenden Finger, abgestorbenen Beine, Axtschläge im Hals, pochende, wandernde Wände aus Stein. Carl fühlte seinen Herzmuskel, der die Brust wölbte. Die Kopfschmerzen in den Pausen schienen nicht nur im Kopf zu sein, sondern auch im restlichen Körper und dem ihn umgebenden Raum. Er fiel in eine längere Ohnmacht und erwachte. Die Sekunde vor der Ohnmacht war das Angenehmste, was er seit langem erlebt hatte, die Minuten danach ein morgendliches Zimmer im Halbdunkel, in dem Reste eines Albtraums hingen. In verschwitzter Bettwäsche liegend, die Sonne grell auf der Jalousie von Helens Bungalow, Kreischen von Meeresvögeln und die langsam in den Körper zurückflutende Erkenntnis, dass er aus dem Albtraum nicht erwacht war. Er versuchte, sich seiner physiologischen Reaktionen vor dem Ohnmachtsanfall zu erinnern, um dorthin

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