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Herrndorf, Wolfgang - Sand

Herrndorf, Wolfgang - Sand

Titel: Herrndorf, Wolfgang - Sand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Troll Trollson
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ihm auf, weil der stehen blieb, als er sich nach ihm umdrehte. Der Portier vor dem Sheraton grüßte ihn wie einen alten Bekannten. Eine einäugige Frau streckte die Hand aus.
    Als er mit vollem Einkaufsbeutel schon fast wieder am Bungalow angekommen war, rannte er von plötzlicher Unruhe getrieben zum Hotel zurück und fragte den Portier, ob er ihn schon einmal gesehen habe.
    «Gestern», bestätigte der Portier.
    «Und früher nicht? Sie kennen mich also nicht?»
    «Bungalow 581 d. Mit der Dame. Die Sie aufgelesen hat.»
    Mit hängendem Kopf lief er durch die Gassen. Die Verzweiflung wurde übermächtig. Zwei Männer in dunklen Anzügen, die aus einer geparkten Limousine gestiegen waren, folgten ihm. Er bog zweimal falsch ab und bemerkte die Männer erst, als sie ihm einen Leinensack über den Kopf stülpten. Ein Strick zog sich um seinen Hals zusammen. Es gelang ihm, die Fingerspitzen beider Hände unter den Strick zu krallen, während er gleichzeitig spürte, wie seine Füße angehoben wurden. Er trat um sich und vergaß zu schreien. Seine Schulter schlug gegen Metall, dann folgte auf einen kurzen Moment der Schwerelosigkeit eine harte Landung. Gummigeruch, Kofferraumklappe, gedämpfte Akustik. Ein startender Motor.
    Die Fahrt mit dem Auto dauerte kaum fünf Minuten. Er schaffte es währenddessen nur, sich die Kapuze über Kinn und Mund bis auf die Nasenwurzel hochzuzerren, wo sie hängen blieb und auf die Augäpfel drückte.
    Er war noch immer damit beschäftigt, daran herumzureißen, als der Kofferraum sich schon wieder öffnete. Undeutlich erkannte er zwei Männer, die ihn an Füßen und Ellenbogen emporhoben. Ein dritter am Steuer. Er musste den Kopf weit in den Nacken legen, um sie sehen zu können. Bewaffnete Männer. Schwarzer Autolack. Ein weißer Kiesweg. Grüner Rasen vor einer riesigen Villa, um den Garten herum eine übermannshohe Mauer, dahinter die Geräusche einer belebten Straße, ganz nah. Sie hatten ihm einen Arm auf den Rücken gedreht, ihn sonst aber weder gefesselt noch geknebelt. Man schien nicht damit zu rechnen, dass er um Hilfe schreien würde, und die Männer wirkten auch nicht so, als hätten sie diese Möglichkeit aus Nachlässigkeit übersehen. Also schrie er nicht. Blut tropfte von seiner Nase.
    Einer der Männer betätigte die Türglocke. Eine quäkende Stimme fragte, wer da sei.
    «Julius.»
    Sie betraten eine riesige Eingangshalle. Ein Anblick wie aus amerikanischen Filmen, große breite Treppe mit steinernem Geländer, Stuck und Gold, märchenhaft überladen. Ein riesiger Kristallspiegel zeigte: zwei stämmige Männer in schwarzen Anzügen, die in einer offenen Tür standen. Zwischen ihnen eine schmächtige Figur, der ein Arm auf den Rücken gedreht war, die aus der Nase blutete und der eine weiße Kapuze wie eine riesige Kochmütze bis auf die Augen gezogen war. Einige junge Männer und Frauen aus Fleisch und Blut standen mit anderen aus Stein um einen plätschernden Brunnen herum. Die Frauen trugen luftige Kleider. Schauten kurz zur Tür hinüber. Wandten sich ab.
    Der, der sich Julius genannt hatte, schob ihn die Treppe hinauf in ein Zimmer. Er schnitt ihm die Kapuze vom Kopf und drückte ihn in einen Lederfauteuil, dem ein mächtiger Schreibtisch gegenüberstand. Auf dem Tisch goldene Schreibutensilien. Die Wände des Zimmers waren dunkel getäfelt. Ölschinken mit nackten Frauen neben den ungelenken Kreisen und Quadraten moderner Kunst. Julius setzte sich auf einen Stuhl in der Ecke. Der eigentliche Schreibtischsessel, ein Freischwinger aus Stahl und blauem Wildleder, blieb leer.
    Er öffnete den Mund, um eine Frage zu stellen, doch Julius hob nur leicht die Waffe, und er schwieg. Er richtete seinen Kopfverband. Die Wunde pochte. Aus dem Garten waren Stimmen und Gelächter zu hören. Eine halbe Stunde verging. Dann öffnete sich eine Tür in der Wandvertäfelung, und ein strahlend weißhaariger Mann in kurzen Hosen und mit einem Federballschläger in der Hand betrat den Raum. Unter den Rändern seines verschwitzten T-Shirts quoll aufgeschwemmtes Fleisch hervor. Seine Beine schienen dünner als die Arme, und sein Gesicht hätte auf physiognomischen Schautafeln des 19. Jahrhunderts das Musterbild des Sanguinikers abgeben können. Zusammen mit der Kleidung, dem Körper, den Bewegungen und der Umgebung vermittelte es den Eindruck eines Menschen, dem in seinem Leben nichts geschenkt worden war – und den das nie im mindesten bekümmert hatte.
    Der Weißhaarige setzte sich in den

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