Herrndorf, Wolfgang - Sand
wahrscheinlich hat dir jemand den Schädel eingeschlagen. Du willst weder zur Polizei noch ins Krankenhaus. Ich bin Helen. Ich hab dich mitgenommen. Das hier ist mein Bungalow.»
Er sah die Frau an und stöhnte. Ein Gesicht wie aus amerikanischen Modezeitschriften. Es fiel ihm schwer, ihren Blick auszuhalten. Er zog sich die Bettdecke über den Kopf.
«Warum will ich nicht zur Polizei?», fragte er mit gedämpfter Stimme.
«Du hältst dich für einen Kapitalverbrecher.» Er hatte es also erzählt.
«Angeblich hast du jemanden mit einem Flaschenzug erschlagen. Was ich bezweifle.»
Er fragte nicht, warum sie das bezweifelte. Er blieb unter der Decke, und die Bilder kamen zurück. Das Tier mit dem blubbernden Strohhalm. Er hörte die Frau telefonieren und von Kosmetikartikeln sprechen. Sie ging einkaufen, brachte ihm Getränke, saß auf dem Bettrand und war wieder verschwunden, eine freundliche Halluzination. Dann lag er in der Dunkelheit und hörte kein Geräusch. Kein Meeresrauschen. Keine Atemzüge. Die Panik kam und ging in Schüben. Er schlief.
SCHWALBEN
Parsons: The art of fighting without fighting? Show me some of it.
Lee: Later.
Enter the Dragon
Als er die Augen aufschlug, dämmerte es. Neben ihm eine zerwühlte Bettdecke, er war allein. Ein Nachttisch voller Gläschen und Fläschchen. Zwei Bilder an der Wand. Sein Körper fühlte sich noch immer schwach an. Er spürte Schweiß auf dem Rücken und auf der Stirn, aber es war eine eher abflutende Wärme, das beruhigend schlappe Gefühl der Rekonvaleszenz. Nur ein leichter Schmerz am Hinterkopf noch. Er versuchte aufzustehen und tappte ein paar Schritte vom Bett weg. Hinter der Küche war noch ein Raum. «Helen?»
Teller und Besteck lagen auf dem Tisch, die Terrassentür stand offen.
Er trat zögerlich in die Morgenluft hinaus, stützte sich auf die steinerne Brüstung und sah über Himmel und Meer. Kupferfarbene Pinien standen den weiten Hang hinunter. Das Meer lag in leichtem Nebel, und die Dünung schob lange parallele Linien auf den Strand. Rechts führten Steinstufen von der Terrasse auf eine zweite, tiefer gelegene Terrasse, von der aus sich ein ockerbrauner Pfad zum Wasser hinunterschlängelte. Auf dieser zweiten Terrasse stand Helen. Den Blick aufs Meer gerichtet, breitbeinig, die Arme nach beiden Seiten ausgestreckt, das platinblonde Haar zu einem Pferdeschwanz nach hinten gebunden. Mehrere Sekunden lang verharrte sie still, dann schoben ihre Arme mit langsamen Bewegungen die Luft beiseite. Langsam schwenkte ein Arm nach vorn, langsam beugten sich die Knie, und der Oberkörper machte eine langsame Drehung nach links. Die Hände kreisten, als würden sie durch schweren Honig gezogen. Ein schwebender Schritt zur Seite, die sich seitwärts verschiebende Körperachse, ein Kung-Fu-Film in extremer Zeitlupe.
Er schaute zur Sicherheit zum Himmel, an dem zwei Schwalben in normaler Geschwindigkeit dahinflogen. Es war nicht sein Hirn. Sie bewegte sich wirklich langsam. Etwas entspannter lehnte er sich auf die Brüstung und betrachtete nicht ohne Rührung die unsportliche Gymnastik.
Helen trug weiße Turnschuhe und eine hellblaue Trainingshose. Der Gummizug der Hose schnitt tief in ihr Fleisch und ließ an der Taille einen kleinen Wulst nackter Haut hervortreten. Ein ärmelloses T-Shirt mit einem Rückgrat aus Schweiß klebte auf ihrem Oberkörper. Er spürte ein sonderbares Gefühl für diese Frau in sich aufsteigen, ein, wie er sich sagte, möglicherweise unangebrachtes und irregeleitetes Gefühl. Sie war es gewesen, die ihn gerettet hatte, sie hatte ihm ein Dach über dem Kopf gegeben und ihn gepflegt, sie war sein Rettungsanker in einer hoffnungslos versunkenen Welt. Es war nicht Dankbarkeit. Es war etwas anderes. Es schnürte ihm die Kehle zu.
Als sie eine Weile stillstand, ging er lautlos die Treppe hinunter und umarmte sie von hinten. Die Wärme, die Feuchtigkeit. Er legte seinen Kopf in ihre verschwitzte Nackenbeuge, spürte ihren Puls an seiner Wange und sah zum Horizont.
Sie erstarrte.
«Tut mir leid», sagte er.
«Schon gut», sagte Helen, befreite sich aus seiner Umarmung und stieg die Treppen hinauf.
SCHWIMMEN
Und er nahm eine Scherbe und schabte sich und saß in der Asche.
Hiob 2,8
Obgleich er sich noch schwach auf den Beinen fühlte, schloss er sich ihr an, als sie zum Strand ging. Sie hatten gefrühstückt, aber er hatte nicht mehr als einen halben Apfel gegessen.
Die nicht sehr hoch stehende Sonne färbte
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