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Herrndorf, Wolfgang - Sand

Herrndorf, Wolfgang - Sand

Titel: Herrndorf, Wolfgang - Sand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Troll Trollson
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Freischwinger, wechselte einen kurzen Blick mit Julius und lächelte. Und schwieg. Er dehnte das Schweigen so lange aus, bis es seinen Effekt zu verlieren drohte.
    «Du traust dich ja einiges», sagte er. Und nach langer Pause: «Da haben wir wohl jemanden unterschätzt.»
    Sein Französisch hatte einen unbestimmbaren Akzent.
    «Zwei kleine Würstchen. Waren das meine Worte, oder waren das nicht meine Worte? Zwei kleine Würstchen! Da können wir doch froh sein und den Barmherzigen loben: dass wir diese Würstchen haben. Und jetzt das.»
    Der Weißhaarige beugte sich zu ihm und klopfte ihm mit dem Federballschläger auf den Kopfverband. Es gab ein unangenehmes Geräusch in der Wunde.
    «Ich will dir mal eine Frage stellen. Oder fangen wir doch von vorne an. Duzen wir uns eigentlich? Oder sind wir noch beim Sie? Hilf mir auf die Sprünge, kleiner Mann. Macht es dir was aus, wenn ich du zu dir sage? Gut. Hast du irgendeine Vorstellung davon, worum es hier geht?»
    Der Weißhaarige betrachtete ihn eine Weile, zupfte zwei Grashalme und ein Bröckchen Erde aus den Saiten des Federballschlägers und hielt das Sportgerät dann nach hinten von sich weg. Sofort sprang Julius auf und nahm es ihm aus der Hand.
    «Weißt du, worum es hier geht?»
    Die schwierige Entscheidung zwischen einem wissend verlegenen und einem unwissend verlegenen Gesichtsausdruck.
    Zehn Sekunden.
    «Nein, du weißt überhaupt nicht, worum es geht!», brüllte der Weißhaarige. Er beugte sich vor, holte eine anthrazitfarbene Pappschachtel aus einer Schreibtischschublade und warf sie über den Tisch. Halb so groß wie eine Zigarettenschachtel, ein goldgeprägter Aufdruck irgendeines Juweliers. Sie landete in seinem Schoß. Zögerlich öffnete er sie. Ein kurzes Goldkettchen lag darin und ein Anhänger, der im ersten Moment wie eine abgeschnittene Fingerkuppe aussah. Die Größe einer Fingerkuppe, die Farbe einer Fingerkuppe. Aber es war nur ein abgegriffenes, wachsfarbenes Stück Holz, zwei blutrote Punkte obenauf. Auf der Rückseite, durch langen Gebrauch fast abgeschliffen, war das geschnitzte Gesichtchen eines Teufels zu erkennen. Die roten Punkte die Hörner. Ratlos drehte er das Amulett zwischen den Fingern.
    «Jetzt bist du schockiert», sagte der Weißhaarige und lehnte sich zufrieden blickend zurück. «Aber das sollte man sich vorher überlegen: Wer Rom angreift, muss Rom kennen. Hast du gedient?»
    Julius richtete spielerisch die Waffe auf ihn. Er bemühte sich, den passenden Gesichtsausdruck für die Gefühle zu finden, die man ihm unterstellte.
    Mit einer plötzlichen Bewegung fuhr der Weißhaarige über den Tisch, riss ihm das Amulett aus den Fingern und warf es ihm sofort wieder hin. «Ist das Voodoo, oder was soll das sein? Ein Schutz? Vor Leuten wie uns vielleicht? Am Arsch. Auch wenn du versuchst, nicht mit der Wimper zu zucken. Du bist ein schlechter Schauspieler.»
    Der Weißhaarige senkte den Kopf, um ihm von unten ins Gesicht zu schauen.
    «Sieht aus wie ein Fingerchen», fuhr er fort. «Wie ein richtiges Fingerchen. Und wäre auch um ein Haar ein Fingerchen gewesen. Ist aber keins. Und wem hast du das zu verdanken, dass es keins ist?»
    Julius errötete.
    «Herz aus Gold!», rief der Weißhaarige sarkastisch. «Herz aus Gold! Julius hat fünf Kinder. Wenn du fünf Kinder hast, wirst du weich in der Birne. Automatisch. Und er hat mir zweimal das Leben gerettet. Das kannst du nicht wissen. Weich in der Birne, aber zweimal das Leben. Das ist seine Altersversicherung. Loyalität, right or wrong, my country. Wenn es eine Eigenschaft gibt, die ich am Menschen über alles schätze: Loyalität. Die Eigenschaft, die dir leider abgeht. Und willst du wissen, was dabei rauskommt? Ich sag dir, was dabei rauskommt: Ich sitz da mit dem kleinen Scheißerchen auf den Knien, und ich sage, der übliche Preis, nehmen wir hier den linken Zeigefinger oder den rechten? Und Julius sagt: Aua. Und dann kommt auch noch die Mutter. Himmel! Und was sagt die Mutter? Na los, musst du doch wissen: Was sagt die Mutter? Deine Frau. Du sprichst doch mit deiner Frau, du bist doch eher so der sensible Typ. Also, was sagt die fette Kuh?»
    Schweigen.
    «Ich hoffe, du verzeihst den Ausdruck fette Kuh. Ich will hier niemandem zu nahe treten, vielleicht hat sie andere Qualitäten. Die fette Kuh. Wobei, ficken tut sie auch nicht gut.»
    Ohne den Blick abzuwenden, drehte der Weißhaarige den Kopf Richtung Julius. «Oder, Julius, fickt die gut? Fickt eher so mittel, oder was

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