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Herrndorf, Wolfgang - Sand

Herrndorf, Wolfgang - Sand

Titel: Herrndorf, Wolfgang - Sand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Troll Trollson
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hatte.
    Unbeholfen hatte Carl ihnen den Rücken zugedreht, einen Geldschein unter sein Teeglas geschoben und war davongerannt. In dem Gassengewirr konnte er die Polizisten leicht abschütteln. Falls sie ihm überhaupt folgten. Er hatte nicht gewagt, sich nach ihnen umzudrehen, und das war ihm vorerst genug Aufregung für einen halben Tag. Er schlug den Weg zum Sheraton ein, ging am Hafen entlang zurück und dann die Küstenstraße hinauf.
    Reiche Amerikaner in weißer Kleidung posierten vor dem Meer. Goldene Stewards lehnten vor schlanken Yachten, und die Eingänge der Fischrestaurants sahen aus wie griechische Tempel aus Plastik. Er fühlte sich leer und taub. Der Anblick eines Kreuzfahrtschiffes, das mit dampfenden Schornsteinen auf den Ozean hinausfuhr, gab ihm den Gedanken ein, auszuwandern. Er hatte keine Vergangenheit, und wenn er eine hatte, sprach einiges dafür, dass Gewalt, Verbrechen und Verfolgung darin die Hauptrollen spielten. Der Wille, sein bisheriges Leben fortzusetzen, war längst nicht so stark wie der Wunsch nach Ruhe und Sicherheit. Auswandern nach Frankreich oder Amerika, ein unbelastetes Leben beginnen, sich langsam zurechtfinden an der Seite einer platinblonden Frau. War das nicht möglich?
    «Cetrois!», rief jemand hinter ihm. «Cetrois? Wen suchst du? Cetrois?»
    In der Schiebetür einer Werkstatt, vor der sich Autokarosserien stapelten, stand ein Mann im blauen Overall. Mit konspirativen Gesten winkte er Carl zu sich heran, zog ihn in die Werkstatt und schob die Tür hinter ihm zu. Im Halbdunkel wartete bereits ein zweiter, sehr kräftiger Mann, der Carl ansatzlos den Fuß in den Magen trat.
    Er sackte vornüber und fühlte, wie ihn von hinten jemand am Hals packte. Sie stellten keine Fragen. Sie schienen vorauszusetzen, dass er wusste, was sie von ihm wollten. Falls sie überhaupt etwas wollten und das Ganze nicht nur ein kleiner Scherz auf Kosten eines Frauenkleider tragendes Mannes war, der in einer traditionsverhafteten Gesellschaft verständliche Aggressionen auslösen musste. Seine unter Fußtritten herausgekeuchten Fragen, wer sie seien, wurden mit weiteren Tritten beantwortet. Er schmeckte Blut. Sie zerrten ihn in den hinteren Teil der Werkstatt, und der Kräftige stieß ihn gegen eine Werkbank, auf der eine große Holzkiste stand. In der auf einer Seite offenen Kiste steckte eine hypermodern wirkende, chromblitzende Maschine. Sie schlugen seinen Kopf gegen die Maschine.
    «Wie ist das? Wie ist das?», rief der Kräftige.
    Die Maschine wackelte, und Carl sackte benommen zu Boden. Sie warfen sich über ihn, würgten ihn und hörten erst damit auf, als ein Geräusch von der Schiebetür her sie aufschreckte.
    Ein schmaler, langsam breiter werdender Keil aus Sonnenlicht flutete über den Boden, die Werkbank, die chromblitzende Maschine und die wenig klassisch anmutende Gruppe dreier ringender Männer. Einige Sekunden lang herrschte Stille. Dann sagte eine leiernde, blasiert klingende Frauenstimme mit starkem amerikanischem Akzent: «Excuse me, can you tell me where to find the tourist information?«
    Der Kleinere sprang sofort auf und lief mit ausgebreiteten Armen auf die Tür zu, um die Sicht auf das Geschehen hinter sich zu verdecken. Der andere hielt Carl an der Kehle zu Boden gedrückt. Durch einen Schleier aus Schweiß und Tränen sah Carl nicht mehr als zwei Schatten in einem Rechteck aus Licht. Er hörte halblaute Worte, dann ein unangenehmes Knacken, und einer der Schatten sank zu Boden. Mit wiegenden Hüften kam der zweite Schatten in die Werkstatt marschiert und blieb im Dunkel stehen. Der Kräftige ließ Carls Kehle los und ging, vorsichtig seine Faust massierend, langsam auf den Schatten zu.
    Diesmal sah Carl den Handkantenschlag, der mit einem Knacken den Kehlkopf des Mannes zertrümmerte. Neunzig Kilo rollten über den Boden. Ohne zu zögern, ohne zu lächeln und ohne ein Wort eilte Helen auf Carl zu und warf einen kurzen, geschäftsmäßigen Seitenblick auf die Maschine. Sie kippte die Holzkiste auf der Werkbank an, stützte sie mit der Schulter ab und forderte Carl auf, das hintere Ende zu nehmen.
    Mit der schweren Kiste stiegen sie über einen bewusstlosen Mann in der Mitte der Werkstatt und einen nicht bewusstlosen Mann an der Tür, der mit beiden Händen seinen Hals festhielt und japste. Helens Pick-up stand im Hof. Gemeinsam wuchteten sie die Maschine auf die Ladefläche und fuhren zügig davon.
    «Das ist nicht das Ding, oder?», fragte Helen, als sie im Bungalow

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