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Herrndorf, Wolfgang - Sand

Herrndorf, Wolfgang - Sand

Titel: Herrndorf, Wolfgang - Sand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Troll Trollson
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Fliegen da keine Punkte durchs Bild?»
    «Nein.»
    «Ohne nachzuschauen. Wie viele Füße haben Sie?»
    «Was?»
    «Wie viele Füße haben Sie?»
    «Ist das eine ernstgemeinte Frage?»
    «Antworten Sie einfach.»
    «Zwei», sagte Carl und schaute auf seine Füße. Dr. Cockcroft machte sich Notizen. «Welches Wort gehört nicht in die Reihe: Mensch – Schäferhund – Fisch?»
    «Fisch … nein, Mensch. Der Mensch gehört nicht dazu.»
    «Was für Musik hören Sie gerne?»
    «Weiß ich nicht.»
    «Wenn ich etwas auflege, was würde Ihnen gefallen? Arabische Musik? Europäische? Klassik? Beatmusik?»
    «Keine Klassik.»
    «Können Sie Gruppen nennen? Bands?»
    «Die Beatles. Die Kinks. Marshal Mellow.»
    «Können Sie ein Lied von den Beatles singen?»
    «Ich glaube nicht.»
    «Eine Melodie ansummen?»
    Carl summte zaghaft ein paar Töne und sagte dann selbst überrascht: «Yellow Submarine.»
    «Erinnern Sie sich, was auf dem Schild hinter Ihnen steht?»
    «Exit.»
    «Wie heißt Ihre Frau?»
    «Keine Ahnung.»
    «Die Frau, die Sie hergebracht hat?»
    «Das ist nicht meine Frau.»
    «Die da draußen auf Sie wartet?»
    «Ja.»
    Dr. Cockcroft biss auf seinem linken Daumennagel herum. Er schaute auf seinen Block und strich etwas durch. «Und wie heißt die Frau, die nicht Ihre Frau ist?»
    «Helen.»
    «Wo wohnen Sie?»
    «Zwei oder drei Straßen von hier. In einem Bungalow.»
    «Mit dieser Frau zusammen?»
    Carl dachte lange nach und sagte dann: «Warum wollen Sie das wissen?»
    «Wohnen Sie mit ihr zusammen?»
    «Ihr gehört der Bungalow. Sie macht Urlaub. Wir haben uns zufällig kennengelernt.»
    «Nachdem Sie aus dem Krankenhaus entlassen wurden?»
    «Ich war nicht im Krankenhaus. Der Verband ist von ihr.»
    «Warum waren Sie nicht im Krankenhaus?»
    «Wie ich schon sagte, ich bin überfallen worden und … ich hatte auch den Eindruck, es ist nicht so schlimm.»
    «Nicht so schlimm.» Mit der Zunge schob Dr. Cockcroft ein abgebissenes Stück Fingernagel zwischen seine Lippen und pustete. Er nickte. «Wenn Sie wollen, guck ich nachher mal drauf. Und das da an Ihrer Hand?»
    «Hab ich mich geschnitten», sagte Carl und verbarg den klobigen Verband neben seinem Oberschenkel.
    Dr. Cockcroft blickte in seine Notizen und seufzte. «Na schön», sagte er, «dann zählen Sie mal in Siebenerschritten von hundert rückwärts.»
    «Hundert», sagte Carl, und er fuhr fort zu zählen, bis er bei 70 war und ein brummendes Geräusch des Arztes ihn davon überzeugte, dass die Aufgabe erfüllt war. Dr. Cockcroft hatte mitgeschrieben, und der Handbewegung nach zu urteilen, zog er jetzt einen doppelten waagerechten Strich unter seine Notizen. Er saugte den linken Mundwinkel ein, er saugte den rechten Mundwinkel ein. Dann blätterte er ein paar Seiten zurück und sagte:
    «Und jetzt erzählen Sie mir das Ganze noch mal rückwärts, bitte. Alles, was Sie mir vorhin erzählt haben, Station für Station, von dem Moment an, wo Sie im Bungalow ankommen.»
    «Alles?»
    «Alles. Und rückwärts.»
    Carls Blick fiel auf einen blau schillernden Käfer, der direkt vor seiner Fußspitze in kleinen Schlangenlinien das Tischbein hochkletterte. «Also. Helen und ich sind im Bungalow angekommen. Vorher sind wir durch Targat gefahren. Und davor durch die Wüste. Davor habe ich Helen an der Tankstelle angesprochen. Wo auch der weiße VW-Bus mit den deutschen Touristen war. Davor bin ich an der Piste langgelaufen. Davor haben sie mein Portemonnaie geklaut. Die Hippies. Vorher war ich im Sand eingegraben. Über mir sind die Männer im Jeep rumgefahren. Vier Männer in weißen Dschellabahs. Davor hab ich mich in den Sand gewühlt. Davor bin ich durch die Dünen gerannt. Davor bin ich durch das Scheunentor…»
    Dr. Cockcroft tippte mit dem zugeschraubten Füller Punkt für Punkt auf seine Notizen und sagte: «Gut. Gut. Ist gut. Das reicht. Trinken Sie Alkohol?»
    «Ich glaube nicht.»
    «Nein. Ich meine, möchten Sie einen?»
    Dr. Cockcroft ging zu einer kleinen Bar, schenkte sich ein Glas Bourbon ein und blickte über die Schulter zurück. «Und auch nichts anderes?»
    Carl hatte sich ein wenig vorgebeugt. Auf dem Notizblock glaubte er, ein auf dem Kopf stehendes Wort entziffern zu können: Banser oder Ganser. Dahinter ein dickes Fragezeichen.
    «Nein danke.»
    Schnaufend setzte sich der Psychiater wieder in seinen Sessel, trank einen Schluck, stellte das fast leere Glas vor sich auf den Tisch und zog umständlich ein riesiges Taschentuch aus der Hose. Er

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