Herrscher der Eisenzeit - die Kelten - auf den Spuren einer geheimnisvollen Kultur
perfekte Bühnenshow, im Jahr 2005 vom amerikanischen öffentlich-rechtlichen Sender PBS produziert als 90-minütige Fernsehaufführung. Die CD verkaufte sich bislang mehr als 1,2-Millionen-mal, das Gesamterlebnis – die DVD – 220
000mal. Die Tournee feiert riesige internationale Erfolge, auch jetzt noch, sechs Jahre nach ihrer ersten Aufführung. Und es tut der Sache keinen Abbruch, dass das Repertoire der Show neben »keltischen« Folksongs in der Mehrheit eigentlich völlig unkeltische Elemente enthält, wie bekannte Musicalsongs (z. B. aus dem Phil-Collins-Musical »Tarzan«), oder Hits, wie Enyas »Orinoco Flow«, das den Saal gerade vibrieren lässt.
Dabei haben einige der Mitwirkenden ihre Wurzeln tatsächlich in den ehemaligen keltischen Siedlungsgebieten. So verrät bei der Musikerin Mav Ni Mhaolchatha allein schon der Name ihre irische Abstammung. Oder nehmen wir die Neuseeländerin Hayley Westenra, deren Vorfahren ebenfalls aus Irland stammen. Und nicht zu vergessen Enya selbst, deren familiäre und musikalische Wurzeln in Nordwestirland, in Donegal liegen, bei der Gruppe Clannad, die sie Mitte der 80er-Jahre verließ, um sich auf eine Solokarriere zu konzentrieren.
»Celtic Woman« ist ein feingetuntes Produkt von Leuten, die wissen, wie man das Verlangen der Menschen nach dem Geheimnisvollen, dem Mystischen bedient. Es ist in dieser Beziehung auch kein Einzelprodukt, sondern steht fest in der Tradition der gleichfalls immens erfolgreichen Shows »Lord of the Dance«, der morgenländischen Variante »Sultans of the Dance« und vor allem dem »Prototyp« dieser Tanzshows »Riverdance«. Weitere folgen in regelmäßigen Abständen, wie »Celtic Tiger« von Michael Flatley. »Celtic« verkauft sich gut. Es ist auch kein Zufall, dass etliche der Macher von »Celtic Woman« bereits an der Produktion von »Riverdance« beteiligt waren, wie Mav Ni Mhaolchatha, oder der künstlerische Leiter David Downes. »Never change a winning team«, sagt der Engländer (s. »Celtic Woman« im Farbbildteil Abb. 40).
Doch ist »Celtic« inzwischen wirklich nicht mehr als ein Label für das Geheimnisvolle? Ein Marketingtool ohne Inhalt?
Wie viel ist noch übrig von den Kelten, die das Europa der Eisenzeit beherrschten, deren geheimes Reich sich am Rande des römischen Imperiums vom westlichen Zipfel Irlands bis tief ins heutige Anatolien erstreckte?
Die Wiederentdeckung der Kelten
An den Rand gedrängt und fast vergessen
Dass in den ehemals keltischen Gebieten nun fremde Dynastien herrschen und fremdes Recht gilt, betrifft in erster Linie die Oberschicht. Doch in den Wind geschüttelten Fischerdörfern der Bretagne, den Cottages der Farmer in Irland, den unwirtlichen, kärglichen Regionen der walisischen Brecon Beacons oder den unzugänglichen Hochweiden der Scottish Highlands spricht der einfache Mann immer noch Keltisch. Man erzählt sich die alten Geschichten, singt die alten Lieder, feiert keltische Feste und bewahrt den keltischen Glauben in einem reichen Erbe an Folklore, Geistergeschichten, Riten, Sitten und Gebräuchen. Es sind kleine, in sich gekehrte Gemeinschaften, fernab vom entstehenden Wohlstand der Herrschenden, oft in bitterer Armut, belächelt, verachtet, immer mit einem gewissen Touch des Absonderlichen behaftet.
Nach und nach versinken sie für die moderne Außenwelt in der Bedeutungslosigkeit, während in der Isolation das Keltische trotz der Umstürze in der Gesellschaft unbeschadet weiterlebt. Die überlebenden keltischen Sprachen, das Gälische in Schottland und Irland, das Walisische, das Kernewek in Cornwall, das Bretonische sowie das Manx auf der Isle of Man, werden zum lebenden Faktor der Selbstidentifikation, der Faktor, um den sich die gesamte Kultur und das Brauchtum ranken.
Vermutlich hätten die »letzten Kelten« etliche Hundert Jahre in ihren abgeschlossenen Gemeinschaften überdauern können, wenn, ja, wenn ihnen nicht das Schlimmste passiert wäre, das hätte passieren können.
Sie werden »wieder entdeckt«.
Ihre letzten Kämpfe führen die Kelten nicht gegen Soldaten, denn ihre neuen »Feinde« sind inzwischen viel perfider und subtiler undbenötigen keine Militärmaschinerie. Etliche dieser neuen »Feinde« wissen noch nicht einmal, dass sie Feinde sind, sondern sehen sich stattdessen sogar als die Retter dieser Kultur. Andere wiederum werden gar nicht als Feinde wahrgenommen.
Und lagen die Schlachtfelder früher in weiten Ebenen oder auf Waldlichtungen, so sind sie
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