Herrscher der Eisenzeit - die Kelten - auf den Spuren einer geheimnisvollen Kultur
Augen, öffnet sie wieder, aber das Bild verändert sich nicht. Er sieht noch einmal genau hin, aber so unglaublich, so ungeheuerlich es auch ist, es ist die Wirklichkeit. Es gibt keine toten Griechen!
So weit er sehen kann, liegen auf dem Plateau nur Gallier. Von den Griechen, die sie in der Nacht überfallen haben, gibt es keine Spur. Kein kleiner runder Schild, kein Kurzschwert, kein Helm mit buntem Busch. Nichts. – Aber das ist unmöglich! Sicher, die Griechen holen nach einer geschlagenen Schlacht ihre Toten vom Schlachtfeld. Doch irgendetwas, Waffen, Teile der Rüstungen, bleiben immer zurück.
Der Schatten einer Erinnerung an die Nacht kehrt wieder. Aleso stolpert zurück zu dem Platz, an dem er vorhin aufgewacht ist. Er muss sicher sein. Noch immer schmerzt jede Bewegung, aber darauf nimmt er jetzt keine Rücksicht. Er muss es wissen! Jetzt!
Er ist angekommen, und nach kurzer Zeit hat er gefunden, was er gesucht hat. Vor seinen Füßen liegt ein Mann, dessen Körper von Dolchstichen zerfetzt ist. Es ist ein Gallier.
Im gallischen Lager können keine toten Griechen herumliegen. Es sind nie Griechen hier gewesen. Aleso fällt auf die Knie und erbricht grünlichen Schleim.
Tausende von Galliern haben sich in der Verwirrung der Nacht gegenseitig umgebracht.
Laut Pausanias ist in dieser Nacht der Gott Pan mit seinen Heerscharen herabgestiegen, um Angst und Schrecken unter den Galliern zu verbreiten. Das scheint generell eine seiner Lieblingsbeschäftigungen gewesen zu sein, denn keinen anderen Ursprung hat die Redensart von »panischer Angst« oder »panischem Schrecken«.
Die Wahrheit sieht vermutlich etwas nüchterner aus. Hunger, Übermüdung, Kälte, Schmerzen, vielleicht auch Wundfieber, zu irgendeinem Zeitpunkt werden bei dem einen oder anderen die Fieberträume und Halluzinationen begonnen haben. Bei einer derart desolaten psychischen Verfassung wie der des keltischen Heeres hat vermutlich bereits der Ruf eines Einzigen ausgereicht, um eine Massenpanik auszulösen.
Das Ende der Geschichte ist schnell erzählt. Unter den ständigen Angriffen der nachsetzenden Griechen ziehen sich die Überreste des keltischen Heeres zurück. Sie verhungern, erfrieren, werden getötet oder sterben an Infektionen. Auch die Vereinigung mit dem inzwischen nachgerückten Heer unter Acichorius bringt keine Wende. Auf ihrem Rückzug durch die Gebiete, die sie zuvor verwüstet haben, sind sie nun die Geschlagenen, die dem Zorn der Bevölkerung schutzlos ausgeliefert sind. Irgendwann während dieses Rückzuges begeht Brennus Selbstmord. Mit Stil, wie es heißt, nämlich indem er trotz einer schweren Bauchverletzung einen großen Pokal mit unverdünntem Rotwein trinkt.
Viel ist spekuliert worden über den keltischen Feldzug nach Delphi. Sind sie wirklich zurückgeschlagen worden? Oder ist die Geschichte von ihrer vollständigen Niederlage nur Zweckpropaganda? Haben sie den Tempel von Delphi geplündert und den Schatz zurück nach Gallien verbracht? Ist es gar das Gold, das die Römer 106 v. Chr. im Siedlungsgebiet der Tectosagier in Südgallien finden?
Wohl kaum. Wie sollte es auch dorthin gelangt sein? Die Tectosagier gehörten nicht zu den Stämmen, die unter Brennus nach Griechenland gezogen sind. Ihre Geschichte ist eine ganz andere.
Vielleicht muss man auch die Frage anders stellen: Wenn die Gallier erfolgreich gewesen wären, warum feiern die Griechen bei Delphi seit genau dem Jahr 278 v. Chr. Soterien-(Errettungs-)feste, wie es auf einer attischen Inschrift kurz nach der gallischen Niederlage festgehalten und durch August Mommsen 1878 in seiner »Delphika« angeführt wurde?
Im Reich des Attalos – Kelten gegen Pergamon
Die Geister, die ich rief…
Um 277 v. Chr. lagern wilde Horden außerhalb der Stadtmauern von Byzantion am Bosporos. Und zum größten Leidwesen der byzantinischen Kaufleute wissen die Belagerer genau, wie wohlhabend die Stadt durch den Handel zwischen den beiden Meeren, die der Bosporos verbindet, geworden ist. Byzantion stöhnt unter der Last des »Friedensgeldes«. Das ist horrend, denn es sind mehr als 100
000 Menschen, die da draußen ernährt werden müssen, ohne dass sie selbst für ihre Versorgung mit Lebensmitteln Sorge tragen.
Die wilden Horden, das sind genau die drei keltischen Stämme, die sich zwei Jahre zuvor von Brennus getrennt haben und nach Osten gezogen sind. Die südgallischen Tectosagier sowie die aus dem Donaugebiet stammenden Trocmer und Tolistobogier stehen
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