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Herrscher der Eisenzeit

Herrscher der Eisenzeit

Titel: Herrscher der Eisenzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Hauptmann
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Stehen kommen, kaum dass sie den trockenen Untergrund erreicht haben. Genau das, was Gaius Suetonius Paulinus befürchtet hat, scheint jetzt furchtbare Wahrheit zu werden: Seine Legionäre haben Angst.
    Und er kann sie verstehen. Würde da drüben, am Ende des Strandes, einfach »nur« ein britannisches Heer in voller Bewaffnung stehen, seine Männer würden ihren Siegesruf ausstoßen und die bunt gekleideten Krieger einfach hinwegfegen.
    Der Himmel ist dunkel von Gewitterwolken. Immer wieder zucken Blitze zur Erde. Ein perfekter Hintergrund für die Inszenierung des Untergangs der letzten Bastion des Widerstandes hier im Westen Britanniens. Aber nicht nur der Himmel leuchtet. Dort, wo in einigen Hundert Metern Entfernung die ersten Baumreihen beginnen, lodern große, schwarzrote, stark rauchende Feuer. Zwischen ihnen kann Suetonius Paulinus große Gruppen von wilden Kriegern erkennen, die mit nacktem Oberkörper lange Speere in die Luft stoßen und mit riesigen Schwertern auf große bunte Schilde schlagen. Die dumpfen Stöße werden aber noch übertönt vom ohrenbetäubenden Geheul etlicher Hundert schwarz gekleideter Weiber, die in ihrer Raserei mindestens genauso gefährlich aussehen wie die Krieger.
    Am unheimlichsten sind jedoch die Druiden, die mit hocherhobenen Armen dastehen und ihre Götter anrufen, während ihnen der Wind die weißen Gewänder um die Körper flattern lässt. Doch Suetonius Paulinus weiß, dass auch die Druiden im Ernstfall vollwertige Krieger sind. Das macht es leichter, seine Aufgabe zu erfüllen.
    Er dreht sich um und gibt das Zeichen zum Vorrücken. Immer noch zögernd ziehen die Legionäre ihre Kurzschwerter. Vor sich haben sie die Wilden, hinter sich das Wasser und den Zorn ihres Feldherrn. Es ist schwer zu entscheiden, was am Ende die schlechtere Wahl ist …
    Bei der ersten Vorwärtsbewegung wird das Geheul auf der anderen Seite lauter. Die Britannier schütteln ihre Waffen noch heftiger. Die Druiden nehmen ihre Arme herunter und knien nieder. Als sie wieder aufstehen, halten auch sie grellbunte Schilde und lange Schwerter in den Händen.
    Als die Linien aufeinandertreffen, scheinen die Kräfte für einen unendlich langen Augenblick gleich groß zu sein. Für die Britannier kämpft die von den Druiden ausgehende Aura des Geheimnisvollen, eine starke Waffe gegen die abergläubischen römischen Legionäre. Suetonius Paulinus bemerkt, wie seine Legionäre den Druiden ausweichen.
    Ein Schrei, der alle anderen Schreie übertönt!
    Suetonius Paulinus braucht einen Augenblick, dann sieht er es. Ein Druide steht schwankend inmitten eines kleinen Kreises, der sich um ihn gebildet hat. Seine Brust ist rot. Er ist getroffen, versucht, sich mit ausgestreckten Händen in der Luft festzukrallen. Dann bricht er zusammen. Durch das römische Heer geht ein Ruck. Druiden sind Menschen. Sie sind verwundbar, sterblich.
    Es gibt keinen Grund, sie nicht auch sterben zu lassen …
    Gaius Suetonius Paulinus kann den Massenmord an den Druiden von Mona (Anglesey) gut argumentieren. Hat nicht schon Caesar die Druidenkaste als Bedrohung der römischen Vorherrschaft identifiziert?
    Aber … ist das wirklich der Grund dafür, dass der römische Statthalter in Britannien derart brutal gegen die Druiden vorgeht?
    Eines macht stutzig, wenn man den Text des Tacitus aufmerksam liest. Die Legionäre erstarren vor Schreck, als sie auf Mona der britannischen Druiden ansichtig werden. Aber sollten sie nach mehr als 25 Jahren nicht zumindest so viele Druiden zu Gesicht bekommen haben, dass sie den reinen Anblick eher gelassen hinnehmen?
    Die Wahrheit ist: Die Druiden in Britannien haben innerhalb der Stämme nicht annähernd den Stellenwert wie in Gallien. Britannien– und speziell Mona – mag als das Zentrum druidischen Wissens gelten, als der Ort, an dem jeder gallische Druide einmal in seinem Leben gewesen sein muss. Doch scheinen sie hier nie den Status erreicht zu haben, den sie in Gallien innehatten. Dass sie angesichts der einfallenden Römer ihre Stämme verlassen und sich kollektiv nach Mona zurückgezogen haben, erscheint dagegen eher unwahrscheinlich.
    Nein, die Druiden sind nicht annähernd die Bedrohung, die Suetonius Paulinus vorschiebt. Der Grund für sein Vorgehen ist eher simpler Natur. Man kann es auf das Wort »Futterneid« reduzieren. Sein Rivale in der Gunst Kaiser Neros, Gnaeus Domitius Corbulo, hat kurz vorher einen spektakulären Sieg über den armenischen König Trdat I. errungen. Suetonius

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