Herrscher der Eisenzeit
sichern. Das Geld muss wieder her, denn in Rom laufen die Vorbereitungen für eine Münzabwertung.
Versetzt man sich in die Lage der britannischen Adligen, versteht man ihren Eifer, mit dem sie sich dem Aufstand gegen die Römer anschließen. Keiner von ihnen kann die horrenden Summen (und die wahrscheinlich unsittlichen Zinsen) auf einmal zurückzahlen. Akzeptieren sie also die Rückzahlungsforderungen, müssen sie borgen gehen und würden damit alles an Status und Prestige verlieren, was sie in den vergangenen Jahren gewonnen haben. Macht sich dagegen ein militärischer Erfolg gegen die Römer (der sie zudem ihrer Schulden entledigt) nicht deutlich besser in der Vita, die die Geschichtsbewahrer des Stammes den nachfolgenden Generationen weitergeben?
Der Rachefeldzug der Boudicca ruft den aktuell noch in Wales agierenden Gouverneur Suetonius Paulinus auf den Plan. Für das Zentrum der römischen Provinz Britannia, Camuldonum, kommt jedoch jede Hilfe zu spät. Ehrlicherweise muss man jedoch sagen, dass es keine wirkliche Chance hat. Es ist nicht ausreichend befestigt, und innerhalb der ohnehin schon dürftigen Mauern der Stadt agieren Anhänger der icenischen Königin dergestalt, dass sie jedwede Organisation eines effektiven Widerstands wirkungsvoll sabotieren.
Boudiccas Heer unterscheidet nicht zwischen Römern und Römerfreunden, außer, dass es gegen römerfreundliche Briten mit noch größerer Brutalität vorgeht. Die Berichte reden von nicht gekannter Zerstörungswut und Blutrausch, von verstümmelten Leichen, von Frauen, die man aufhängt, die Brüste abschneidet und in den Mund stopft. Die letzten prorömischen Bewohner Camuldonums verschanzen sich fatalerweise in dem Sinnbild der römischenPräsenz in Britannien, dem noch unter Claudius errichteten Tempel für den Kaiserkult. Sie verbrennen bei lebendigem Leibe.
Dann geht es weiter nach Londinium und Verulamium (heute St. Albans, Bild der Festung s. im Farbbildteil Abb. 26). Dort ist Suetonius Paulinus den Britanniern zuvorgekommen. Doch hilft das den Städten nicht im Geringsten, im Gegenteil. Als er wieder abzieht, wünschen die Bewohner, er wäre nie aufgetaucht. Der römische Feldherr will einen Häuserkampf in engen Straßen vermeiden. Römische Legionäre sind am besten, wenn sie in einer offenen Feldschlacht in eingeübter Formation kämpfen können. Also rekrutiert er die kampffähige Stadtbevölkerung in die eigenen Reihen und überlässt den Rest seinem Schicksal. Als das Heer Boudiccas von Camuldonum, Londinium und Verulamium ablässt, sind mehr als 70
000 Römer und Freunde Roms tot. Der Prokurator der römischen Provinz Britannia, Decianus Catus, befindet sich nicht unter den Toten. Dieser hat sich vorsorglich nach Gallien abgesetzt …
Schließlich stellt Suetonius Paulinus bei Manduessedum (Mancetter in Warwickshire) Boudicca zum Kampf. Er hat fast alles zusammengezogen, was er an Streitkräften in Britannien zur Verfügung hat. Fast. Denn Poenius Postumus, der Kommandant der II. Legion, weigert sich, seine Position in Wales zu verlassen. So ansehnlich die Streitmacht des römischen Statthalters auch sein mag: Auf einen Römer kommen wenigstens vier Britannier. Besonders beeindruckend ist das große Kontingent an Kampfwagen, die der Erzählung nach Klingen auf den Radnaben tragen.
Doch wieder siegt die Disziplin über die Leidenschaft. Als die Schlacht vorbei ist, liegen mehr als 80
000 Leichen auf dem Schlachtfeld. Aber das Zahlenverhältnis hat sich dramatisch verändert. Auf einen toten Römer kommen 200 tote Britannier.
Eine Tragödie am Rande: Fast zeitgleich begehen in East Anglia und in Wales zwei Menschen Selbstmord: die geschlagene Boudicca und der Befehlsverweigerer Poenius Postumus. Den Freitod des Letzteren, mit dem er sich ziemlich sicher einer entwürdigenderen Strafe aus den Händen des Statthalters Suetonius Paulinus entzieht,kann man dabei durchaus als tragisch bezeichnen. Sicher, seine Weigerung, zum Heer des Statthalters zu stoßen, ist dem Buchstaben des Militärrechts nach natürlich ein schweres Vergehen. Doch dadurch, dass er in Wales bleibt, um die aufmüpfigen Silures unter Kontrolle zu halten, hindert er Letztere daran, mit ihrer stattlichen Kriegerschaft der Boudicca zu Hilfe zu kommen.
Doch es ist noch nicht zu Ende. Suetonius Paulinus will von nun an nichts mehr dem Zufall überlassen. Er bricht unmittelbar nach der Schlacht einen Vergeltungsfeldzug vom Zaune gegen all diejenigen, die den Aufstand
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