Herrscher der Erde
kroch ins Bett. Er wandte eine Yoga-Atemtechnik an, bis er einschlief. Die Sängerin, das Pfeifen und der Zug kamen nicht wieder.
Als er erwachte, war es heller Morgen. Er dachte über seinen Alptraum nach. Vor zehn Uhr hatte er keine Verabredung. Das Nachrichtengerät bot eine lange Reihe von Berichten an, die meist mit der Wahnsinnsepidemie zu tun hatten. Er drückte die Kodebuchstaben von acht Berichten, stellte die Maschine auf Audio und lauschte den Nachrichten, während er sich anzog.
Dabei dachte er wieder an den Alptraum und frage sich: »Wie viele Leute erwachen wohl in der Nacht und stellen sich die Frage, ob nun sie an der Reihe wären?«
Er warf sich einen malvenfarbigen Umhang über den weißen Overall, holte sich das Heft mit den Aufzeichnungen aus der Küche und trat in den kühlen Frühlingsmorgen hinaus. Er regulierte die Temperatur seines Overalls und bestieg die Rohrbahn, die ihn in die Elliot-Bucht brachte. Er aß in einem Fischrestaurant und hatte das Heft aufgeschlagen neben dem Teller liegen. Nach dem Frühstück fand er draußen eine Bank, von der aus er einen Ausblick über die Bucht hatte, und öffnete das Heft. Aber anstatt darin zu lesen, betrachtete er die Aussicht.
Vom grauen Wasser stieg Nebel auf, der das gegenüberliegende Ufer den Blicken verbarg. Von irgendwo her erklang das Horn eines Bootes. Die Gebäude hinter ihm warfen das Echo zurück. Einige Passanten eilten zur Arbeit. Sie warfen scheue Blicke um sich: Angst. Von der Bank her drang Kälte durch seine Kleidung. Er schauderte und atmete tief ein. Die Brise vom Wasser führte den Geruch von Tang mit sich, der den der Abwässer der Stadt überdeckte. Möwen stritten um eine Brotkrume. Der Wind spielte mit den Papieren in seiner Hand. Er hielt sie fest und betrachtete die Vorbeigehenden.
Ich zaudere, dachte er. Und Zögern kann man sich in meinem Beruf nicht leisten, nach dem, was geschehen ist.
Eine Frau in einem roten Pelzcape näherte sich mit klappernden Sandalen. Als er ihr von dunklem Haar umrahmtes Gesicht sah, erstarrte er. Sie war bis in das kleinste Detail die Frau aus seinem Alptraum! Er folgte ihr mit den Augen. Sie bemerkte es, wandte sich ab und ging vorbei.
Eric raffte seine Papiere zusammen, schloß das Notizheft und lief hinter ihr her. Er holte sie ein und ging neben ihr her, während er sie immer noch anstarrte. Sie sah ihn an, errötete und wandte sich ab.
»Verschwinden Sie, oder ich hole einen Polizisten!«
»Bitte. Ich muß mit Ihnen sprechen.«
»Ich habe gesagt, Sie sollen verschwinden.« Sie schritt rascher aus, er ebenfalls.
»Entschuldigen Sie bitte, aber ich habe letzte Nacht von Ihnen geträumt. Sie ...«
Sie blickte starr geradeaus.
»Das habe ich schon öfter gehört! Verschwinden Sie!«
»Aber Sie verstehen nicht, was ich meine.«
Sie blieb stehen, drehte sich ihm zu und sagte mit zornerfüllter Stimme: »Ich verstehe wohl! Sie haben gestern abend meine Show gesehen! Sie haben von mir geträumt!«
Sie schüttelte den Kopf.
Eric sagte verwundert: »Aber ich habe noch nie von Ihnen gehört oder Sie gesehen.«
»Ja, so! Ich bin auch nicht daran gewöhnt, beleidigt zu werden!«
Sie wirbelte herum und ging mit wehendem Cape. Wieder holte er sie ein.
»Bitte ...«
»Ich schreie!«
»Ich bin Psychoanalytiker.«
Sie zögerte, wurde langsamer und blieb stehen. Ein verwirrter Ausdruck machte sich auf ihrem Gesicht breit. »Nun, das ist zumindest was Neues.«
Er nützte die Gelegenheit. »Ich habe wirklich von Ihnen geträumt. Es war sehr beunruhigend. Ich kam nicht davon los.«
Es lag etwas in seiner Stimme, seiner Art. Sie lachte. »Eines Tages mußte ja einer mit einem richtigen Traum auftauchen.«
»Ich bin Dr. Eric Ladde.«
Sie warf einen Blick auf sein Abzeichen über der Brusttasche. »Colleen Lanai. Ich singe.«
Er verzog schmerzlich das Gesicht. »Ich weiß.«
»Ich dachte, Sie hätten nie zuvor von mir gehört.«
»Sie sangen in meinem Traum.«
»Oh.« Und nach einer Pause. »Sind Sie wirklich Psychiater?«
Er holte eine Visitenkarte aus der Brusttasche und reichte sie ihr. Sie sah sie an.
»Was bedeutet Telesonden-Diagnose?«
»Es ist ein Gerät, dessen ich mich bediene.«
Sie gab ihm die Karte zurück, hakte sich bei ihm ein und begann, ein gemütliches Tempo einzuschlagen. »Na schön, Doktor. Sie erzählen mir Ihren Traum, und ich berichte Ihnen von meinen Kopfschmerzen. Abgemacht?«
»Sie leiden an Kopfschmerzen?«
»Ja, an schrecklichen
Weitere Kostenlose Bücher