Herrscher des Lichts - Sanderson, B: Herrscher des Lichts - The Hero of Ages, Mistborn 3
Neunzig-Grad-Winkel zum anderen. Die Laute drangen aus dem rechten, und als Vin sich noch ein wenig mehr vorbeugte, wäre sie beinahe zusammengezuckt, als sie in geringer Entfernung zwei Wächter lässig vor der Wand stehen sah.
Wachen im Korridor, dachte Vin und schlich zurück zum Treppenschacht. Yomen will eindeutig hier unten etwas beschützen.
Vin kauerte sich auf den rauen, kühlen Stein. Weißblech, Stahl und Eisen waren für sie in diesem Moment von geringem Wert. Sie konnte zwar die beiden Wächter überwinden, aber damit würde sie ein großes Risiko eingehen, denn sie durfte keinen Lärm verursachen. Sie wusste nicht, wo sich die Vorratshöhle befand, und deshalb war es unklug, schon zu diesem Zeitpunkt einen Aufruhr zu erregen.
Vin schloss die Augen und verbrannte Messing und Zink. Vorsichtig
und langsam besänftigte sie die Empfindungen der beiden Soldaten. Sie hörte, wie sie sich gegen die Wand des Korridors lehnten. Dann wiegelte sie ihr Gefühl der Langeweile auf und zerrte daran. Erneut spähte sie um die Ecke, behielt den Druck bei und wartete.
Einer der Männer gähnte. Einige Sekunden später gähnte auch der andere. Dann gähnten beide gemeinsam. Vin huschte an der Öffnung des Korridors vorbei in den nächsten, der völlig in den Schatten lag. Sie drückte sich gegen die Wand und wartete, während ihr Herz schnell schlug. Kein Ruf ertönte; nur einer der Wächter murmelte, er sei sehr müde.
Vin lächelte erregt. Es war lange her, seit sie das letzte Mal umherschleichen musste. Sie hatte spioniert und ausgespäht, aber dabei hatte sie sich auf den Nebel, die Dunkelheit und ihre Fähigkeit verlassen, sich ungeheuer rasch zu bewegen. Diesmal aber war es anders. Es erinnerte sie an die Tage, als sie und Reen Häuser ausgeraubt hatten.
Was würde mein Bruder jetzt sagen?, fragte sie sich, während sie den Korridor unnatürlich leise und leichtfüßig entlanghuschte. Er würde glauben, dass ich verrückt geworden bin, weil ich mich in ein Haus eingeschlichen habe, in dem ich nicht nach Wertgegenständen, sondern nach Informationen suche. Für Reen war es immer nur ums Überleben gegangen — um das einfache, nackte Überleben. Traue niemandem. Mach dich für deine Bande unentbehrlich, aber werde nicht zu bedrohlich. Sei unbarmherzig. Bleibe am Leben.
Sie hatte seine Lektionen nicht vergessen. Sie waren immer ein Teil von ihr gewesen – sie hatten Vin vorsichtig gemacht, hatten ihr zu überleben geholfen, auch während der Jahre bei Kelsiers Mannschaft. Vin hörte bloß nicht mehr ausschließlich auf sie. Sie dämpfte sie mit Vertrauen und Hoffnung.
Deine Vertrauensseligkeit wird dich eines Tages umbringen, schien Reen in ihrem Hinterkopf zu flüstern. Aber selbst Reen hatte sich nicht immer an seine eigenen Gebote gehalten. Er war gestorben,
weil er Vin schützen wollte und sich geweigert hatte, sie an die Inquisitoren auszuliefern, obwohl er möglicherweise sein Leben hätte retten können, wenn er sie verraten hätte.
Vin lief weiter. Bald wurde ihr klar, dass dieses Kellergeschoss hauptsächlich aus schmalen Korridoren bestand, die um größere Räume herumliefen. Sie spähte in einen von ihnen, nachdem sie die knarrende Tür geöffnet hatte, und fand einige Vorräte. Es waren Grundnahrungsmittel wie Mehl und dergleichen, nicht aber die sorgfältig in Konservendosen abgepackten, katalogisierten Vorräte einer Lagerhöhle.
Irgendwo muss es am Ende eines dieser Korridore so etwas wie ein Verladedock geben, vermutete Vin. Vermutlich führt er zu einem der unterirdischen Kanäle, die durch die Stadt führen.
Vin drang immer weiter vor, aber sie wusste, dass ihr nicht die Zeit blieb, jeden der vielen Räume des Kellergeschosses zu durchsuchen. Sie näherte sich einer weiteren Kreuzung von zwei Korridoren, kauerte sich hin und zog die Stirn kraus. Elants Ablenkungsmanöver würde nicht ewig andauern, und irgendwann würde jemand die beiden bewusstlosen Frauen im Gebüsch finden. Sie musste das Versteck rasch finden.
Sie schaute sich um. Die Korridore wurden durch gelegentliche Lampen nur schwach erhüllt. Doch stärkeres Licht schien von links herbeizudringen. Sie ging diesen Korridor entlang, und dort gab es mehr Lampen. Bald erhaschte sie den Klang von Stimmen. Vorsichtig näherte sie sich einer weiteren Abzweigung und spähte in sie hinein. Zur Linken bemerkte sie in der Ferne zwei Soldaten. Rechts gab es gleich vier.
Dann befindet sie sich also rechts, dachte sie. Doch das würde
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