Herrscher des Lichts - Sanderson, B: Herrscher des Lichts - The Hero of Ages, Mistborn 3
sie an der Kette und stellte fest, dass sie sich nicht lösen ließ.
Diese Bewegung zog ihr die Aufmerksamkeit zweier Wachen zu, die neben der Bank standen. Sie fuhren leicht zusammen, hoben ihre Lanzen und beobachtete Vin argwöhnisch. Vin lächelte in sich hinein; ein Teil von ihr war stolz darauf, dass sie eine solche Reaktion hervorrufen konnte, obwohl sie angekettet und ohne Metalle war.
»Ihr, Herrin Wager, stellt ein ziemliches Problem dar.« Die Stimme kam von der Seite. Vin stützte sich auf dem Arm ab und sah über die Seitenlehne der Bank. Auf der anderen Seite des Zimmers stand in einer Entfernung von etwa fünfzehn Fuß eine kahlköpfige Gestalt in einer Robe und drehte ihr den Rücken
zu. Der Mann schaute aus einem großen, nach Westen hinausgehenden Fenster, und die untergehende Sonne warf einen hellen karmesinroten Schein um seine Silhouette.
»Was mache ich da bloß?«, fragte Yomen, der sich ihr noch immer nicht zuwandte. »Ein einziges Stahlsplitterchen, und Ihr könntet meine Wachen mit ihren eigenen Knöpfen ermorden. Ein Hauch von Weißblech, und Ihr könntet diese Bank anheben und Euch den Weg hinaus freisprengen. Es wäre vernünftig, Euch zu knebeln und die ganze Zeit unter Betäubung zu halten, oder Euch zu töten.«
Vin öffnete den Mund und wollte etwas erwidern, doch sie musste husten. Sofort versuchte sie, Weißblech zu verbrennen und dadurch ihren Körper zu stärken. Der Verlust der Metalle war wie das Fehlen eines Gliedes. Als sie sich hustend aufsetzte und ihr dabei schwindlig wurde, war ihr Verlangen nach Metall so stark, wie sie es niemals für möglich gehalten hätte. Allomantie machte angeblich nicht abhängig, wie es bei gewissen Pflanzen oder Giften der Fall war. Aber in diesem Augenblick hätte sie schwören können, dass alle Wissenschaftler und Philosophien diesbezüglich im Irrtum waren.
Yomen machte eine scharfe Geste mit dem Arm, wandte sich aber noch immer nicht vom Sonnenuntergang ab. Ein Diener näherte sich und brachte einen Becher für Vin. Unsicher betrachtete sie ihn.
»Wenn ich Euch vergiften wollte, Herrin Wager«, sagte Yomen, ohne sich umzudrehen, »dann könnte ich das ganz offen tun.«
Richtig, dachte Vin, nahm den Becher entgegen und trank das Wasser, das er enthielt.
»Wasser«, sagte Yomen. »Vom Regen aufgefangen, gefiltert und destilliert. Ihr werdet keinerlei Spuren von Metall darin finden. Ich habe angeordnet, dass es ausschließlich in Holzbehältern gelagert wird.«
Raffiniert, dachte Vin. Jahre bevor sie sich ihrer allomantischen
Kräfte bewusst geworden war, hatte sie die winzigen Spuren von Metall verbrannt, die sie zufällig aus dem Grundwasser oder von Essbestecken in sich aufgenommen hatte.
Das Wasser löschte ihren Durst und unterdrückte ihren Husten. »Wenn Ihr so große Angst habt, ich könnte Metalle zu mir nehmen«, sagte sie schließlich, »warum habt Ihr mich dann nicht geknebelt?«
Yomen stand eine Weile schweigend da. Endlich drehte er sich um, und sie sah die Tätowierungen auf dem Gesicht und um die Augen. Seine Haut reflektierte die satten Farben der untergehenden Sonne. Auf der Stirn trug er die einzelne, silberige Atiumperle.
»Aus verschiedenen Gründen«, sagte der Obligatorkönig.
Vin betrachtete ihn und hob den Becher, weil sie noch einen Schluck nehmen wollte. Bei dieser Bewegung klapperten ihre Handfesseln, und Vin warf einen verärgerten Blick auf sie, als sie ihr wieder die Bewegungsfreiheit nahmen.
»Sie bestehen aus Silber«, sagte Yomen. »Ein außerordentlich enttäuschendes Material für eine Nebelgeborene, wie man mir sagte.«
Silber. Nutzloses, unverbrennbares Silber. Wie Blei war es eines der Metalle, die keinerlei allomantische Kräfte verliehen.
»Wirklich ein sehr unbeliebtes Metall«, sagte Yomen und deutete mit dem Kopf zur Seite. Ein Diener kam auf Vin zu und brachte etwas auf einem kleinen Tablett herbei. Es war der Ohrring ihrer Mutter – ein mattes Schmuckstück. Es bestand aus versilberter Bronze. Mit den Jahren hatte sich die Silberschicht abgelöst, und die braune Bronze schimmerte durch und verlieh dem Ohrring den Anschein eines wertlosen Stücks Tand, das er auch war.
»Und aus diesem Grund möchte ich so gern wissen, warum Ihr dieses Schmuckstück tragt«, fuhr Yomen fort. »Ich habe es untersuchen lassen. Außen besteht es aus Silber und innen aus
Bronze. Warum diese Metalle? Das eine ist für Allomanten nutzlos, und das andere gewährt nur die schwächste der allomantischen
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