Herrscher des Lichts - Sanderson, B: Herrscher des Lichts - The Hero of Ages, Mistborn 3
dafür gab, dass sie sich in der Gegenwart nicht mehr ereigneten?
Und dann war da noch der letzte Aschefleck, der an allem klebte – das, was keine dieser Religionen seiner Meinung nach beweisen konnte. Sie alle lehrten, dass die Gläubigen gesegnet waren. Und keine hatte eine Antwort darauf, warum die Götter es ihren Anbetern zumuteten, dass sie von einem Häretiker namens Raschek, dem Obersten Herrscher gefangen genommen, eingekerkert, versklavt und abgeschlachtet worden waren.
Der Papierstapel lag mit der Schrift nach unten auf dem Tisch vor ihm. Das bedeutete, dass es keine Wahrheit gab. Kein Glaube würde ihm Tindwyl zurückbringen. Nichts wachte über die
Menschen, wie Spuki es so felsenfest geglaubt hatte. Sazed fuhr mit den Fingern über das letzte Blatt, und nun wurde seine Niedergeschlagenheit, die er so lange kaum im Zaum zu halten vermocht hatte, so stark, dass er sich ihrer nicht mehr erwehren konnte. Die Mappe war seine letzte Verteidigungslinie gewesen.
Alles war Schmerz. So fühlte sich der Verlust an. Schmerz und Betäubung zur gleichen Zeit; ein Stacheldraht, der sich um seine Brust legte, verbunden mit der völligen Unmöglichkeit, etwas dagegen zu unternehmen. Ihm war danach, sich in einer Ecke zu verkriechen, zu weinen und zu sterben.
Nein!, dachte er. Da muss es noch etwas geben …
Er griff unter den Schreibtisch und suchte mit zitternden Fingern nach seinem Sack voller Metallgeister. Doch er holte keinen davon heraus, sondern ein großes, dickes Buch. Er legte es auf den Tisch neben seine Mappe und öffnete es an einer beliebigen Stelle. Worte in zwei verschiedenen Handschriften sprangen ihn an. Die eine war sorgfältig und flüssig; es war seine eigene. Die andere war knapp und bündig. Es war Tindwyls.
Er legte die Finger auf die Seite. Er und Tindwyl hatten dieses Buch zusammen geschrieben und darin die Geschichte, Prophezeiungen und Bedeutung des Helden aller Zeiten aufgezeichnet. Es war eine Zeit gewesen, in der Sazed noch nicht alles egal gewesen war.
Das ist eine Lüge, dachte er und ballte die Faust. Warum belüge ich mich selbst? Mir ist noch lange nicht alles egal. Mir war nie alles egal. Wenn es so wäre, dann würde ich nicht immer noch suchen. Wenn mir wirklich alles gleichgültig wäre, dann würde es jetzt nicht so wehtun.
Kelsier hatte davon gesprochen, und danach auch Vin. Sazed hatte nie erwartet, einmal ähnliche Gefühle zu haben. Wieso war er so tief verletzt, dass er sich verraten fühlte? Er war nicht wie die anderen Menschen. Das war keine Überheblichkeit, sondern Selbsterkenntnis. Er vergab den anderen immer,
was vielleicht ein Fehler war. Er war einfach nicht der Typ, der verbittert war.
Deshalb hätte er es nie für möglich gehalten, dass er einmal solche Empfindungen haben könnte. Und deswegen war er vollkommen unvorbereitet darauf gewesen, dass ihn das Einzige, das er als makellos angesehen hatte, verraten könnte.
Er konnte nicht mehr glauben. Wenn er glaubte, dann würde das bedeuten, dass Gott – oder das Universum, oder was immer über den Menschen wachte – versagt hatte. Da war es besser zu glauben, dass es überhaupt nichts gab. Dann waren alle Unzulänglichkeiten der Welt bloßer Zufall und nicht durch einen Gott verursacht, der sie verlassen hatte.
Sazed blickte auf das geöffnete Buch und bemerkte, dass ein kleiner Zettel zwischen den Seiten steckte. Er zog ihn hervor und hielt überrascht das Bild mit der Blume in der Hand, das Vin ihm einmal gegeben und das früher Kelsiers Frau gehört hatte. Es hatte ihr Hoffnung geschenkt und sie an die Welt erinnert, die vor dem Obersten Herrscher existiert hatte.
Er hob den Blick. Die Zimmerdecke bestand aus Holz, doch rotes Sonnenlicht, das durch das Fenster fiel, hatte sich darüber ausgebreitet. »Warum?«, flüsterte er. »Warum lässt du mich so zurück? Ich habe alles studiert, was es über dich zu wissen gibt. Ich habe die Religionen von fünfhundert Völkern und Sekten auswendig gelernt. Ich habe dich gepredigt, als die anderen Menschen dich schon vor tausend Jahren aufgegeben hatten.
Warum lässt du mich ohne Hoffnung zurück, während die anderen Hoffnung haben dürfen? Sollte ich nicht sicherer in meinem Glauben sein als sie? Sollte mein Wissen mich nicht beschützen?«
Doch sein Glaube hatte ihn nur noch empfindlicher gemacht. Das ist das Wesen des Vertrauens, dachte Sazed. Es gibt den anderen Macht über dich. Die Macht, dich zu verletzen. Das war der Grund, warum er seine
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