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Herrscher über den Abgrund

Herrscher über den Abgrund

Titel: Herrscher über den Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andre Norton
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gelangen. Deshalb erbat ich das Recht, mich von der Horde zu entfernen. Und ich brauche nur ein einziges der alten Geheimnisse zu ergründen, dann wird Ibbets der Schüler sein!“
    „Und das wünschst du dir am sehnlichsten – daß der Mann, der dich gedemütigt hat, vor deiner Horde ebenfalls von dir gedemütigt wird?“ fragte sie und rieb sich die Brotkrumen von den Fingern.
    „Nein, nicht nur dies – ich möchte auch die Geheimnisse der Schmiedezunft kennen.“ Wieder packte ihn die Sehnsucht. „Ich möchte wissen, wie sie gearbeitet haben und warum sie so viele Dinge vermochten. Waren sie geistig tatsächlich so sehr überlegen, daß sie mühelos Dinge verstehen und erkennen konnten, während wir uns oft vergeblich anstrengen und doch zu keinem Ziel gelangen? Einige der Unwissenden – mein Vater nannte sie so – erzählen, die Menschen hätten ein so großes Wissen besessen, daß die Große Macht sie von der Erde auslöschen wollte. Vielleicht ist es so gewesen. Ich aber möchte alles wissen, was immer ich zu lernen vermag …“
    „Eure Weisen konnten nicht helfen?“
    Sander schüttelte den Kopf. „Wir waren kein Volk, das in den großen Städten gelebt hatte. Immer schon waren wir Nomaden gewesen und zogen mit unseren Herden durch das Land. Unsere Weisen erinnern sich an das große Beben und daß ein paar von uns zusammen mit einigen Tieren überlebt haben. Doch an Wissen besitze ich sonst nur die Kenntnisse meiner Sippe, denn wir waren nicht von Anbeginn bei der Horde, sondern stammen aus einer Familie von Schmieden. Mein erster Vorfahr kam aus der Wildnis und schloß sich den Nomaden an, die bereits ein Menschenleben lang umherzogen. Es gibt bei ihnen keine Sippenüberlieferung.“
    Sie saß mit untergeschlagenen Beinen am Feuer und spielte mit den kleinen Säckchen, die an ihrem Gürtel hingen. Jetzt nickte sie. „Man bewahrte allein das Wissen, um sich am Leben erhalten zu können. Was darüber hinausging, wurde meist vergessen. Trotzdem würde ich gern mit deinen Weisen sprechen. Selbst aus unbekannten Worten kann man manches erfahren, was von Bedeutung ist. Viele solcher Wörter, deren Bedeutung wir nicht mehr kennen, gibt es …“ Sie schüttelte langsam den Kopf. „So vieles verloren. Und noch mehr wird durch die gierigen ‚Seehaie’ vernichtet werden.“ Sie starrte finster in die Glut.
    „Das Leben war schön in Padford.“ Sie sprach, als hätte sie ihn neben sich völlig vergessen. „Unser bebautes Land dehnte sich Jahr um Jahr weiter aus. Wir waren nicht auf das Meer allein angewiesen, so wie anfangs, als wir seßhaft wurden. Zur Mittsommerzeit kamen die Händler. Zweimal erstand meine Mutter Bücher – richtige Bücher –, die Zeugnisse der Früheren Menschen. Sie las darin – ein wenig –, und alles, was sie selbst wußte, lehrte sie mich. Wir hätten so vieles mehr lernen können, wenn wir die Zeit gehabt hätten.“ Ihre Hand umschloß den Anhänger.
    „Dies hat ihr mein Vater gegeben. Er war mit den Händlern gekommen, doch gehörte er nicht zu ihrer Sippe. Er war eher ein Sucher verlorener Weisheiten, der von einem fernen Ort kam. Er machte selbst ein Buch und schrieb alles auf, was er erfahren konnte, denn er gehörte einer Gesellschaft an, deren Mitglieder weiser waren, als alle Menschen sonst, von denen ich je gehört hatte. Er ließ die Kette zurück, damit das Kind, das meine Mutter zur Welt bringen würde, tiefere Quellen der Weisheit finden möchte. Er lehrte sie die Geheimnisse …“ Sie schwieg.
    Sander konnte nicht an sich halten und fragte: „Was geschah mit ihm?“
    „Er starb“, antwortete sie mit ausdrucksloser Stimme. „Eine schreckliche Krankheit war ausgebrochen. Er kannte ihr geheimes Wesen: ein Teil seines Körpers war erkrankt und sollte herausgeschnitten werden. Aber meine Mutter konnte es nicht tun. So starb er. Dann schwor sie beim Großen Mond, daß eines Tages ihr Kind die verlorenen Weisheiten wieder erlernen sollte, zum Nutzen der Menschen. Doch sie und ich, wir waren beide an die Sippe gebunden, und wir konnten nicht nach unserem Wunsch umherziehen und die Weisheit suchen. Wir mußten bleiben, um das Wasser zu besprechen, wenn die Fischerboote hinausfuhren, um die Aussaat zu segnen, damit das Getreide reichlich wuchs. Jetzt aber ziehe ich fort, um zu suchen, was dieser Schlüssel öffnen wird.“ Immer noch hielt sie den Anhänger in der Hand. „Aber beim Großen Mond! Ich wünschte, meine Reise wäre nicht aus diesem schrecklichen

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