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Herrscher über den Abgrund

Herrscher über den Abgrund

Titel: Herrscher über den Abgrund
Autoren: Andre Norton
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Grund möglich geworden.“
    Die Nacht verdichtete sich, und nur ihr Feuer schützte sie vor den tiefen Schatten, die sich um sie zu drängen schienen. Sander stand auf und pfiff, denn ihm wurde plötzlich bewußt, daß Rhin noch nicht zurückgekehrt war. Als der Kojote ihm nicht mit einem Bellen antwortete, wurde er noch unruhiger. Vielleicht hatte Rhin weit laufen müssen, um zu jagen. Es war nicht ungewöhnlich, daß er eine halbe Nacht fortblieb. Doch in dieser fremden Gegend wollte ihn Sander in der Nähe haben.
    „Er ist nicht in der Nähe.“ Das Mädchen sprach ruhig. „Sie haben ihre eigenen Gewohnheiten, die Bepelzten. Wir können ihnen nicht mehr abverlangen, als sie uns freiwillig geben wollen.“
    „Mir gefällt das nicht“, murmelte Sander, obwohl er ihr recht geben mußte. Aber trotzdem war er unglücklich. Dann legte er sich hin und stand nur von Zeit zu Zeit auf, um eine Handvoll Zweige auf die Glut zu häufen.
    Das Mädchen legte sich noch nicht auf ihr Lager, das sie sich aus ihrem Mantel bereitet hatte. Sie holte aus einem der kleinen Säckchen vier Würfel, die auf jeder Seite Punkte aufwiesen. Sie glättete ein Stück ihres Mantels und warf die Würfel. Erwartungsvoll beugte sie sich über sie und betrachtete die Punkte, die nach oben zeigten. Sie runzelte die Stirn. Dann nahm sie die Würfel erneut auf und warf sie zum zweitenmal. Doch auch jetzt schien sie das Ergebnis nicht zufriedenzustellen, ebenso wenig wie beim drittenmal. Sie blickte besorgt, als sie die Würfel wieder in das Säckchen gleiten ließ. Eine Weile starrte sie in die Flammen, und Sander vernahm ihr leises Murmeln, so als flüstere sie Worte ihrer Macht, die nur für ihre Ohren bestimmt waren.
    Schließlich seufzte sie auf und rollte sich auf dem Mantel zusammen, so als hätte sie eine notwendige Handlung vollbracht, die sie allerdings nicht zu beruhigen vermocht hatte. Er dachte, sie schliefe. Und falls sie sich Sorgen um ihre Tiere machte – so wie er sich um Rhin beunruhigte –, so zeigte sie es jedenfalls nicht.

    Der Kojote war immer noch nicht zurückgekommen, als Sander sich im Morgenlicht reckte, um die Steifheit aus den Gliedern zu vertreiben. Er hatte Durst, doch das geringe Gewicht des Wassersacks sagte ihm, daß er beinahe leer war. Sander verließ sich auf Rhins Instinkt bei der Suche nach einer Quelle oder einem Fluß, aber Rhin war nicht da. Der Kojote konnte ihren Spuren natürlich mit Leichtigkeit folgen, aber Sander wollte ihn jetzt bei sich haben. Noch einmal pfiff er nach ihm. Er erhielt eine Antwort – doch nicht das Bellen, das er erhofft hatte, sondern das Kreischen eines Vogels im Wald. Fanyi setzte sich auf. Sie holte aus einer ihrer Taschen eine Handvoll getrockneter dunkelroter Beeren und teilte sie in zwei Häufchen.
    „Dein Pelztier ist nicht in der Nähe“, sagte sie.
    „Und deine?“ fragte er barsch.
    „Sie auch nicht. Ich denke, sie werden da drin jagen.“ Sie deutete mit dem Kinn zum Wald. „Sie mögen Bäume.“
    „Können sie Wasser finden?“ Er schüttelte den Wasserbehälter, um seinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen.
    „Wenn sie wollen.“ Fanyi sprach so gelassen, daß Ärger in Sander aufstieg. „Aber es gibt noch andere Möglichkeiten. Einige kenne ich. Es scheint, wir müssen unser Gepäck jetzt selbst tragen.“ Sie warf einen Blick auf die Taschen, die Rhin getragen hatte. „Aber das habe ich vorher ja auch getan.“ Sie legte den Mantel zusammen und verschnürte ihre Bündel.
    Sander schlang die getrockneten Beeren hastig hinunter. Sie schmeckten sauer und reichten nicht aus, seinen Hunger zu stillen. Er hoffte, daß er im Wald ein Huftier würde schießen können.
    Er verschnürte seine Bündel – die Werkzeuge waren das Schwerste – und ärgerte sich über den Kojoten. Rhin war nicht nur ein hervorragender Kämpfer, sondern auch flink zu Fuß. Böse Ahnung überfiel Sander. Sie wußten nicht, was sie in dem unbekannten Land erwarten würde, und er wußte nicht, wie er den Kojoten finden sollte, falls ihm etwas zugestoßen war.
    Die Last lag schwer auf seinen Schultern. Doch war er entschlossen, sich nicht zu beklagen, denn die Entschiedenheit, mit der Fanyi in den Schatten der Bäume drang, bedeutete für ihn eine Herausforderung. Sander hielt den Pfeilwerfer schußbereit in der Hand.
    Die Bäume waren riesig und hatten ausladende Äste. Einige der Blätter waren bereits gelb oder scharlachrot; ab und zu schwebte eines auf den Boden und legte sich auf die
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