Herrscher über den Abgrund
Sander.
Zur Mittagszeit hielten sie an. Sander entzündete ein kleines Feuer, während Fanyi etwas von dem Mehl aus dem zerstörten Dorf mit Wasser mischte, bis ein Teig entstand, den sie auf einem Blech aus ihrem eigenen Gepäck über dem Feuer buk. Sander briet die beiden Vögel, die er geschossen hatte, und Rhin jagte für sich selbst, wie es auch die anderen Tiere taten.
Die Mahlzeit mundete besser als der getrocknete Fisch vom Vorabend. Fanyi schüttelte den Wasserbehälter.
„Wasser“, sagte sie. „Das werden wir heute abend brauchen.“
Sander lachte. „Rhin wird es finden. Alle Kojoten können es. Ich habe selbst gesehen, wie er in einem ausgetrockneten Flußbett gebuddelt hat, um Wasser zu finden. Sie kommen aus einem sehr trockenen, ausgedörrten Land …“
„Dein Land?“
Sander schüttelte den Kopf. „Die Weisen sagen, wir stammen aus dem Süden und Westen. Als das Meer einbrach, flohen alle Leute. Einige überlebten, und später kamen dann die Kojoten.
Sie sollen früher klein gewesen sein, sagt man. Aber wie soll man das jetzt wissen – es gibt so viele Geschichten über die Vergangenen Zeiten.“
„Vielleicht gibt es noch Zeugnisse“, meinte Fanyi. „Zeichen wie diese …“ Sie rupfte einen langen Grashalm aus dem Boden und zeichnete mit der Spitze etwas in den Sand.
Sander beobachtete sie. Er glaubte eine gewisse Ähnlichkeit mit den Zeichen der Händler zu entdecken, die sie auf gegerbte Tierhäute gemalt hatten, wenn sein Vater die Metallsorten beschrieb, die er beim nächstenmal bekommen wollte.
„Schau, das bedeutet meinen Namen.“ Sie zeigte auf die einzelnen Zeichen. „F – A – N – Y – I. Das kann ich schreiben und noch einige andere Wörter. Aber“, fügte sie aufrichtig hinzu, „die Bedeutung kenne ich nicht von allen. Es gehört zu meiner Macht, und deshalb habe ich es gelernt.“
Er nickte. Für ihn waren die Worte der Schmiedezunft Teil seiner notwendigen Arbeit gewesen. Das Metall ließ sich nicht bearbeiten, wenn man nicht die rechten Worte dazu sang – jeder wußte das. Deshalb durfte bei manchen Arbeitsgängen auch nur der Schüler anwesend sein, damit nicht die, die kein Recht dazu hatten, die Worte der Schmiedekunst erlernten.
„Selbst wenn du solche Zeichen findest – wenn du sie nun nicht lesen kannst?“
Sie runzelte die Stirn. „Das wäre ein Geheimnis, das man lösen muß – so wie man die Kunst des Heilens lernt oder wie man die Fische ruft. Das gehört zum Wissen der Zauberpriester.“
Sander erhob sich und rief Rhin mit einem Pfiff zurück. Das Wissen der Schamanen interessierte ihn nicht besonders. Und daß die Geheimnisse der Schmiedekunst jemals auf derartige Zeichen reduziert sein sollten, würde er erst glauben, wenn er es mit eigenen Augen sah. Sie waren noch immer ein gutes Stück vom Wald entfernt, und er hatte kein großes Verlangen, noch eine weitere Nacht im offenen Land zu lagern.
Er stampfte die Glut ihres Feuers aus und breitete sorgfältig Erde über die Asche, wie jeder Bewohner des Flachlandes es tat. Die Furcht vor Grasbränden bedeutete ihm mehr als Überfälle, wie er sie im Dorf gesehen hatte.
Sie gingen weiter. Die beiden Tiere waren nirgends zu sehen. Rhin allerdings war sofort auf Sanders Pfiff erschienen, um die Taschen und den Sattel zu tragen. Fanyi schien jedoch nicht beunruhigt, und vielleicht reisten sie immer auf diese Weise.
Der Abend war nahe, als sie vor sich die drohenden Bäume erblickten. Sander blieb stehen und fragte sich zum erstenmal, ob seine Entscheidung wohl richtig gewesen war. Unter dem dichten Blätterdach, das hin und wieder bereits vom Herbst gezeichnet war, sah es finster und unwirtlich aus. Vielleicht war es besser, die Nacht hier zu verbringen und erst am Morgen in den Wald einzudringen.
„Wo sind Kai und Kayi?“ fragte er das Mädchen.
Sie hockte auf den Fersen und blickte zu ihm auf. „Sie streichen umher, wie sie wollen. Ich befehle ihnen nichts. Das habe ich dir doch gesagt. Dieser Wald wird ihnen gefallen. Sie sind keine Tiere des offenen Landes.“
Trotzdem, je länger Sander in die Dunkelheit des Waldes starrte, desto weniger Neigung verspürte er, dort einzudringen.
„Wir werden die Nacht hier verbringen“, entschied er. Und sofort fragte er sich, ob sie widersprechen würde.
„Wenn du möchtest“, antwortete sie nur und erhob sich, um ihre Taschen von Rhins Rücken zu nehmen.
Die Falle
Auch Sander nahm dem Kojoten sein Reisegepäck und den weichen Sattel
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