Herrscher
Sogar die Schlafkammern hatten noch zusätzliche Nebenräume. Hier können viele Familien wohnen, dachte Dar. Durch einen steinernen Türbogen spähte sie in den riesigen Hauptraum. Wie bei allen Hanmuthis war er rund und hatte einen Herd in der Mitte. Gegenwärtig stand der Hauptraum leer, so wie sämtliche anliegenden Räumlichkeiten.
Dars Zimmer zeichnete sich durch besondere Pracht aus. Es hatte ein riesiges Fenster mit Sandeis-Scheiben. Den Fußboden bedeckte das Mosaik einer Blumenwiese. Das Mosaik reichte bis zu den Steinwänden, die man mit dem Flachrelief einer Landschaft verziert hatte. Den Vordergrund füllten fein dargestellte Wildblumen aus. Im Hintergrund sah man eine Orkstadt. »Ist das Tarathank?«, fragte sie.
»Hai, Muth Mauk.«
»Ich habe Tarathanks Ruinen aufgesucht«, sagte Dar und erinnerte sich an ihre dortige Nacht mit Kovok-mah. In Deen-yats Miene vollzog sich eine gelinde Wandlung. Dar wurde klar, dass die Heilerin Atur gerochen hatte, den Duft der Liebe. Die Sitten verboten ihr, es zu erwähnen, doch Orks verheimlichten kaum jemals Gefühle. »Ein Washavoki hat mich zu Pferd hergebracht«, erzählte Dar, »aber ein Sohn war uns behilflich; er verabreichte mir unterwegs einen Heilzauber.« Sie senkte den Blick zu dem sternförmigen Einschnitt
unterhalb ihres Busens. Dunkel verfärbtes Fleisch umgab die Narben. »Ist er ebenfalls hier eingetroffen?«
»Meinst du den Brudersohn deiner Muthuri?«
»Hai. Kovok-mah.«
»Er war da, ist aber nach Hause gegangen.«
Dar stockte das Herz. Sie befürchtete, sie könnte in ihrer schwachen Verfassung in Tränen ausbrechen. »Ich wünschte, ich hätte ihn noch sehen können. Er hat geholfen, mein Leben zu retten.«
»Seine Muthuri hat ihm verboten, deine Nähe zu suchen«, erklärte Deen-yat. »Sobald er wusste, dass du am Leben bleibst, durfte er nicht säumen.«
Dars Verzweiflung vertiefte sich. Also hat es sich herumgesprochen. Auch Deen-yat weiß Bescheid. »Und was ist aus dem Washavoki geworden?«
»Es ist zu seinesgleichen zurückgekehrt.«
Sevren ist also auch fort, dachte Dar. Aber wenigstens habe ich noch meine Familie. »Ich würde gern bald meine Muthuri wiedersehen. Und meine Schwestern, vor allem Nir-yat.« Ihr Blick schweifte durch die leeren Nachbarzimmer. Sie vermisste das lebhafte Treiben in Zor-yats Hanmuthi. »Hier ist es mir zu still.«
»Vielleicht morgen«, sagte Deen-yat. Sie befühlte Dars Stirn und beschnupperte die Wunde. »Hai, morgen dürftest du hinlänglich gesundet sein, um sie wiederzusehen.« Sie betrachtete Dar voller Mitgefühl. »Es wird dir gut bekommen. Als Große Mutter ist man einsam.«
Lange nach Anbruch des Abenddunkels erreichte Kovok-mah den Familiensitz seiner Eltern.
Seine Tante begrüßte ihn, als er gerade den Schnee von seinem Umhang schüttelte. »Schwestersohn, es verblüfft mich,
dich zu sehen. – Kath! Dein Sohn ist aus Taiben zurückgekehrt. «
Kath-mah kam aus einer Schlafkammer zum Vorschein und rieb sich müde die Augen. »Kovok? Wieso bist du hier? Du bist doch ausgezogen, um für den Washavoki-König zu kämpfen.«
»Der König ist tot, Mutter. Jetzt ist eine Königin Herrscherin der Washavoki.«
»Ist es denn nicht auch der Wunsch unserer Königin, dass unsere Söhne für die Washavoki kämpfen?«
»Wir haben eine neue Königin.«
»Das ist in der Tat eine bemerkenswerte Neuigkeit. Wie ist das möglich? Unsere Königin hat fernab gelebt.«
»Sie hat jemanden gefunden, dem sie das Fathma weiterreichen konnte. Vor ihrem Tod hat sie es dieser Mutter übertragen. «
»Aber es gehen doch keine Mütter mehr nach Taiben.«
»Diese Mutter weilte in Taiben.«
Gereizt musterte Kath-mah ihren Sohn. »Wer ist sie? Warum teilst du es mir nicht mit?«
»Sie war Dargu-yat. Aber da das Fathma den Geist wandelt, ist sie nicht mehr Dargu-yat.«
Fassungslos starrte Kath-mah ihren Sohn an. Dann verhärtete sich ihre Miene. »Und weil ich dir verboten habe, mit Dargu-yat zusammen zu sein, glaubst du jetzt, ich könnte es mir anders überlegen.«
Demütig verbeugte sich Kovok-mah vor seiner Muthuri. »Ich hoffe es.«
»Als Dargu wiedergeboren wurde, hat Magie ihren Geist gewandelt, nicht jedoch den Körper. Sie war danach noch immer so hässlich wie jedes Washavoki. Hat sich, seit sie Große Mutter ist, etwas daran geändert?«
»Thwa.«
»Dann wird ihr Leib mir keine Enkelinnen gebären.«
»Obwohl ich mir Töchter wünsche, halte ich anderes für wichtiger.«
»Nur weil du jung
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