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Herrscher

Herrscher

Titel: Herrscher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howell Morgan
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aus dem Dunkel zurückgekehrt bist, warst du keine Unberührbare mehr. Das Thwada, das ich meine, währt für immer. Es gleicht dem Tod.«
    »Von dir getrennt zu sein«, sagte Dar, »ist wie thwada.«
    »Darf ich dir, da du so etwas behauptest, eine Geschichte erzählen?«
    »Was ist es für eine Geschichte?«
    »Als ich noch ein Jungling war, habe ich meinen Vater auf eine Reise begleitet. Er hatte eine Ziege mitgenommen, die zu alt war, um noch Milch zu geben. Als wir einen Höhenrücken fernab unseres Familiensitzes erreichten, ließ mein Vater mich die Ziege fortjagen. Auf dem Heimweg war ich neugierig und fragte ihn nach dem Grund. Mein Vater sagte mir, die Ziege sei für den Geist bestimmt gewesen.«
    »Den Geist?«
    »Hai. Diese Antwort machte mich noch ratloser, aber mehr mochte mein Vater mir nicht anvertrauen. Aber sein Wort blieb mir stets im Gedächtnis, denn ich hatte noch keinen Geist gesehen. Der Winter verstrich, und im folgenden Frühjahr kam ich in das Alter, von dem an ein Sohn allein umherstreifen darf. Da dachte ich wieder an den Geist und beschloss, ihn zu suchen.«
    »Und hast du ihn gefunden?«
    »Nicht beim ersten Mal. Dreimal bin ich zu dem Höhenzug gewandert. Das letzte Mal geschah es in der Jahreszeit, in der das Laub von den Bäumen fällt. Da habe ich den Geist gesehen: Der Geist war eine Mutter, wie ich noch nie eine erblickt hatte.«
    »Wieso?«
    »Sie ähnelte einem Tier. Sie trug keine Kleider, sondern
ein Fell. Trotz der Kälte hatte sie keinen Umhang und keine Schuhe. Und verhielt sich ebenso scheu wie ein wildes Tier. Als sie mich sah, rannte sie fort.«
    Dar begriff, worauf die Geschichte hinauslief. »Und diese Mutter war thwada.«
    »Hai. Meine Muthuri hat es mir erklärt, als ich ihr davon erzählte.«
    »Was hat sie gesagt?«
    »Dass es eine Mutter gewesen sei, die etwas Verbotenes mit ihrem Velazul getrieben hatte.«
    »Du meinst, sie hatte etwas getan, das ihre Muthuri verboten hatte.«
    »Hai«, bestätigte Kovok-mah. »Sie wurde verbannt und verstoßen, für immer namenlos und tot für ihre gesamte Sippe. Niemand durfte mit ihr sprechen oder ihr Dasein auf irgendeine Weise beachten.«
    »Und ihr Verlazul? Hat man ihn auch geächtet?«
    »Er hatte Schmach auf sich geladen, aber er blieb bei den Urkzimmuthi. Söhne sind schwach. Mütter nicht.«
    »Bist du ihr je wieder begegnet?«
    »Drei Winter später habe ich auf der Suche nach einer verirrten Ziege ein Erdloch entdeckt. Ein rundes Loch, und der Umkreis war mit Steinen gekennzeichnet. In dem Loch lagen die Überreste eines eingestürzten Daches. Unter den Trümmern fand ich Knochen.«
    »Ihre Knochen?«
    »Ich glaube es. Die Gebeine gehörten jemandem unserer Art.«
    »Also ist sie einsam gestorben.«
    »Und so wird es dir ergehen, wenn du einen Fehler machst.«
    »Hältst du mich für schwach?«

    »Thwa, und doch sorge ich mich. Ich möchte dir auf keine Weise Unheil bringen.«
    »Unsere Trennung tut mir weh.«
    »Aber …«
    »Ich brauche dich an meiner Seite. Ich kann unmöglich alles allein erledigen.«
    »Du wirst Würdigere als mich finden.«
    »Wer soll mit Königin Girta verhandeln, wenn nicht du? Garga-tok? Er flößt ihr Furcht ein. Ihm fehlen dein Sanftmut und deine Gewandtheit in der Washavoki-Sprache.«
    »Aber Muthuri wird …«
    »Sie wird es sich anders überlegen.«
    »Du kennst sie nicht so gut wie ich. Ihr Wille ist fest, ihr Wort Gesetz.«
    »Ich will dich als Mintari«, sagte Dar. »Möchtest du diese Ehre zurückweisen?«
    Kovok-mah schaute Dar an, seine Miene bezeugte sein inneres Ringen. Dar hatte den Eindruck, dass ihm elend zumute war, und plötzlich bedauerte sie ihre Hartnäckigkeit.
    Er senkte den Kopf. »Söhne sind schwach«, sagte er leise.
    Dar stieg vom Thron. Sie wollte handeln, ehe ihr Bedenken kamen. »Beuge deinen Nacken.«
    Feierlich sank Kovok-mah auf die Knie und stürzte die Hände auf den Fußboden. Als sich Dar neben ihn kniete, schaute er, statt sie anzusehen, auf den Boden. Sie schob sein Haar beiseite, um seinen Hals zu entblößen, und in diesem Augenblick packte sie nahezu überwältigendes Verlangen. Sein Körpergeruch weckte Erinnerungen an den Innenhof in Tarathank, wo sie nackt auf ihm gelegen, seine Nähe mit sämtlichen Sinnen gespürt hatte. Dar ahnte, dass sie etwas tat, das sie möglicherweise bald bereuen würde, daher verstand sie Kovok-mahs Zwiespalt und Kummer.

    Beinahe wäre sie jetzt zurückgewichen. Doch sie beugte sich vor, bis ihre Lippen Kovok-mahs

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