Herrscherin des Lichts
Tunnel, die Hände dicht über dem Boden, den Spuren in der dicken Schicht verklumpten Drecks folgend, mit der er bedeckt war. Etwas tröpfelte irgendwo in der Dunkelheit. Es kam aus den Tiefen des Tunnels vor ihr und hörte sich an wie ein Tropfen, der aus einem Hahn in einen vollen Eimer klatschte. Da vorn musste es Wasser geben. Trübes Schmutzwasser, zweifellos, verunreinigt durch die Abfälle der Menschenwelt dort oben. Das und die sterblichen Überreste desjenigen, der dem Wolf zum Opfer gefallen war. Die Furcht und Verzweiflung seiner letzten Atemzüge lagen wie Giftwolken in der Luft.
Ayla folgte dem unsichtbaren Trampelpfad aus Blut und Schmerz. Das Wasser, durch das sie watete, reichte ihr bald bis zu den Knien, dann bis zur Hüfte. Etwas streifte die nackte Haut unter dem Rand ihrer Lederweste, und sie zuckte erschrocken zusammen. Neben ihr trieb, der Länge nach vom Hals bis zum Schwanz aufgeschlitzt, das leere Fell einer Ratte. Auf diesem Weg schien einer der Fressplätze des Werwolfs zu liegen. Sie konzentrierte Energie in ihrer Brust, dann lenkte Ayla sie in ihre Handfläche, wo sie sich zu einer hell strahlenden Kugel formte. Sie gab dem leuchtenden Gebilde einen kleinen Schubs nach oben, sodass es über ihrem Kopf schwebte und das Terrain innerhalb seiner Reichweite erhellte. Zu ihrer Linken führte ein weiterer Tunnel tiefer in die Darkworld hinein. Die Öffnung eines anderen lag geradeaus vor ihr. Auf der schlierigen Oberflächedes Abwassers, das in den drei Kanälen stand, trieben unzählige ausgeweidete Rattenkadaver.
Ratten. Ich setze mein Leben aufs Spiel wegen Ratten.
Weiter durch das stinkende Wasser watend, arbeitete sie sich bis zu einer Erhebung vor, die in eine schmale gepflasterte Plattform am Rand des Kanals überging. Dort erwartete sie auch schon der nächste tote Körper. Der Werwolf, mit verdrehten Gliedmaßen, die bereits steif waren, halb verwandelt, auf bizarre Weise zwischen seinen beiden Erscheinungsformen – Mensch und Wolf – stecken geblieben. Sein zu einer starren Grimasse verzerrter menschlicher Mund, verwoben mit den Resten der Wolfsschnauze, zeugte von dem Gift, das ihn umgebracht hatte, bevor Ayla die Chance dazu bekam. Und hätte er nicht die Ratten vorher erwischt und gefressen, wären auch sie elendig daran zugrunde gegangen.
Unter den Assassinen der Lightworld ging das Gerücht, dass Todesengel in den Schatten lauerten und dort auf die Seelen sterblicher Kreaturen warteten. Derjenige, der hinter ihr dem Wolf auf den Fersen gewesen war, würde nicht erfreut sein, sie über die Leiche gebeugt vorzufinden, wenn er kam und sich holen wollte, was ihm zustand.
Und da war er auch schon. Sie wirbelte herum, um sich ihrem Gegner zu stellen, erhaschte im Schein ihrer innerhalb von Sekundenbruchteilen verlöschenden Lichtkugel einen kurzen Blick auf ihn. Kalkweiße Haut spannte sich über einen kräftigen muskulösen Körper, der beinahe hätte menschlich sein können, wären da nicht die scharfen Krallen an Händen und Füßen gewesen. Das Biest hing kopfüber an der Decke des Tunnels, wie auch immer es ihm gelang, sich daran festzuhalten, seine Augen blicklose schwarze Spiegel, in denen Ayla ihr eigenes entsetztes Gesicht sehen konnte. Es machte ein zischendes Geräusch, breitete seine Flügel aus und setzte zum Sprung an. Vorher hastig einen tiefen Atemzug nehmend, mit dem sie so viel Luft in ihre Lungen sog, wie diese nur irgendwie halten konnten, warfAyla sich ins Wasser und tauchte. Das Echo der durch den Körper der Kreatur aufgewirbelten Wellen schallte in ihren Ohren und trieb sie an, schneller zu schwimmen, doch ihre Flügel bogen sich in der Strömung, der Widerstand machte sie langsam und ließ bei jedem Schwimmzug einen reißenden Schmerz ihre Knochen durchzucken. Sie stob aufwärts und kam nach Luft schnappend an die Oberfläche.
Im nächsten Augenblick packte das Wesen sie, seine Klauen griffen in ihren zerzausten Zopf und verdrehten ihn wie eine Kordel. Es riss ihren Kopf nach hinten und stieß ein warnendes Grollen in einer harschen, kehligen Sprache aus. Dann entwirrte es die Klauen aus Aylas Haar, packte mit der einen ihre Schulter und holte mit der anderen zum Schlag aus.
Doch in dem Moment, als seine Handfläche ihre nackte Schulter berührte, geschah etwas Merkwürdiges. Rote Tentakel aus purer Energie wuchsen wie Efeuranken über seine Finger, weiter hinauf bis zu seinem Handgelenk und schlossen sich schließlich um seinen dicken, muskulösen
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