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Herz an Herz

Herz an Herz

Titel: Herz an Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofie Cramer , Sven Ulrich
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schlimmer.
    Denn sie erkennt mich zwar, aber ihre Erinnerung geht nur bis zu einem bestimmten Moment in ihrem Leben. An diesen Tagen weiß sie nicht, dass sie in einem Heim lebt. Stattdessen denkt meine Mutter, sie sei nur für ein paar Tage im Krankenhaus und könne bald nach Hause zu ihrem Mann.
    Sie müssen wissen, dass meine Mutter spät in ihrem Leben noch einmal geheiratet hat und in dieser Ehe sehr glücklich war. (Ihr zweiter Mann ist bereits gestorben.) Diese Hochzeit ist also quasi die letzte Erinnerung an ihr Leben vor dem Alzheimer. Daher fragt mich Mutter erstaunt, warum ihr Mann nicht mitgekommen ist. Ich erzähle ihr dann gut gelaunte Lügenmärchen und halte eine Welt aufrecht, die schon lange vorbei ist. Wenn ich an solchen Tagen das Heim verlasse, fühle ich mich noch elender.
    Es gab Zeiten, am Anfang der Krankheit, da wollte ich die Besuche bei ihr absagen. Ich konnte einfach nicht mehr. Ich sprach mit einem Betreuer meiner Mutter, und der schickte mich zu dem Psychologen des Heims. Der Mann gab mir dann den Tipp, aus jedem Treffen mit meiner Mutter einen besonderen Tag zu machen, und seitdem nenne ich die Besuche meine «Ausflüge».
    Nach dem, was ich Ihnen gerade erzählt habe, werden Sie nun sicher auch verstehen, dass ich meiner Mutter nichts von Ihnen erzählen kann, denn Sie passen in diese vergangene Welt leider nicht hinein.
     
    So, das wäre erstmal alles zu Ihren Fragen. Das Formular fülle ich ein anderes Mal aus. Jetzt muss ich schnell noch einmal Michael Franks auflegen und auf den magischen Balkon (zu der Frage auch später mehr). Mein Tag ist sowieso schon wieder völlig durcheinander, und ich kann nur hoffen, dass meine Nachbarin Petzi unter mir nicht auf dem Balkon sitzt und die tragische Stimmung durch ihre Anwesenheit vergrößert.
     
    Mit freundlichen Grüßen – und in der Hoffnung, Sie nicht gelangweilt zu haben
    Ihr Berti Huber
     
    P.S. Darf man an E-Mails auch Anhänge hängen?
    P.P.S. «Barefoot on the beach»
       Warmed by the subtropic sun
       Easily seduced – I’m in
       Safely out of reach
       From faxes and the telephone
       I get happy when
       A dolphin joins me for a swim
       (Michael Franks)
    ***
    Sa 16. Oktober  20:37
    Betreff: AW : Ungeduldig digitale Post
    Von: [email protected]
    An: [email protected]
     
    Lieber E-Mail-Freund!
    Obwohl der Oktober dem gruseligen November inzwischen schon näher ist als dem Sommer, sitze ich draußen – und zwar barfuß mit einem gut gekühlten Glas Riesling vor dem Laptop. Ich lausche den sinnlichen Klängen des «Russian Album» von Anna Netrebko. Es ist der perfekte und vielleicht auch letzte angenehm warme Samstagabend, auf den ich mich seit Ankunft Ihrer ersten E-Mail gefreut habe.
     
    Ich muss zugeben, dass es schon eine ganze Weile her ist, einen perfekten Samstagabend gehabt zu haben. Und wo auch immer uns diese Art der «E-Mail-Freundschaft» hinführen wird: Ich will Ihnen schon jetzt ein Kompliment machen. Sie haben mich inspiriert und mir endlich wieder die prickelnden Seiten des Lebens gezeigt. Irgendwie sind diese unerschlossenen, geheimnisvollen Seiten sogar wesentlich vielversprechender als alle gut gemeinten Ratschläge der letzten Monate. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch! Das soll kein Heiratsantrag sein. Wie auch, wenn ich nicht einmal weiß, ob Sie nicht schon verheiratet sind. Nein, vielmehr schätze ich Sie als einen Menschen, der durch einen schönen Zufall in mein Leben getreten ist und es dadurch ein kleines Stückchen besser macht.
    Ich meine, es ist zwar nicht so, dass ich kurz davor bin, mich von der Dachterrasse zu stürzen. (Das wäre auch unklug, denn ich wohne nur im zweiten Stock.) Doch durch Ihre offenherzige und direkte Art vermitteln Sie mir das Gefühl, dass es doch noch vertrauenswürdige und interessante Menschen gibt. Menschen, bei denen es sich lohnt, zuzuhören, in ihre Welt einzutauchen und ihre Lebensgeschichte zu erfahren.
    Es hat mich berührt, wie Sie von Ihrer Mutter berichten. Und ich würde gerne an Ihren künftigen Ausflügen ins Heim teilhaben, wenn Sie es möchten.
     
    Zwei Stunden und drei Gläser Wein später:
    Sorry, mein lieber Berti. Meine egoistische Schwester Nina war so dreist, mich spontan zu überfallen, um sich mal wieder über meinen eigentlich recht entspannten Schwager auszulassen. Ich habe ihr nicht verraten, dass sie uns beide – also Sie und mich – bei einem sehr angenehmen

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