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Herz an Herz

Herz an Herz

Titel: Herz an Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofie Cramer , Sven Ulrich
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Samstagabend gestört hat. Denn das hätte sie mit ihrer rationalen Sicht auf die Welt sicher nicht verstanden. Oder aber noch schlimmer, sie hätte es zerredet und entzaubert.
    Also saß ich da, wie immer, um mir ihre Geschichten anzuhören, während ich mich in Gedanken zu Ihnen auf den magischen Balkon flüchtete.
    Ohne Übertreibung kann ich leider behaupten, von meiner Schwester alles zu wissen – von der Qualität und Frequenz ihrer ehelichen Schlafzimmerpflichten bis hin zum minutengenauen Zeiplan, mit dem sie jeden Morgen in ihren ja ach so stressigen Alltag als Mutter und Halbtagsangestellte einer Bank startet.
    Nina hingegen glaubt ebenfalls alles von mir zu wissen, weiß aber rein gar nichts. Was weniger daran liegt, dass ich per se verschwiegener bin als sie, als vielmehr an der Tatsache, dass sie einen ach so stressigen Alltag als Mutter und Halbtagsangestellte einer Bank hat. Verstehen Sie?
    Wenn ich Ihnen nun noch beichte, dass ich tatsächlich als Psychotherapeutin arbeite (bitte diese E-Mail nicht gleich löschen!), werden Sie sicher verstehen, dass ich mir in meiner Freizeit keine deprimierenden Geschichten anderer Leute anhören möchte, die rein gar nicht an mir als Person interessiert sind. Damit tue ich meiner Schwester jetzt natürlich unrecht, aber heute hat sie mich mit ihrer egozentrischen Art wirklich genervt.
     
    Im Gegensatz dazu scheint mir unsere Begegnung nicht einseitiger Natur zu sein. Ohne eingebildet erscheinen zu wollen, empfinde ich es so, dass es Ihnen mit unserem Austausch ähnlich geht. Ich habe das Gefühl, ich interessiere Sie wirklich, ohne dass Sie sich aufdrängen. Und das ist wundervoll. Nicht mehr und nicht weniger.
    Es ist andererseits nicht so, dass ich unter einem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom leiden würde. Nach fast sechs Jahren Berufserfahrung (ich bin nur fünf Jahre jünger als Sie) bin ich immer noch ein guter Zuhörer. Ich arbeite gern im Hintergrund und fürchte es sogar, mich zu offenbaren. (Ja, auch Psychologen haben Ängste!)
    Aber Sie werden vielleicht verstehen, dass zu meinem Job, den ich sehr liebe, ein seltsamer Druck gehört, nicht an den düsteren Seiten des Lebens zu verzweifeln. Man darf den Glauben an das Gute und daran, dass sich alles zum Positiven entwickeln wird, ja letztlich an das Leben selbst nicht verlieren. Man muss sogar täglich aufs Neue Energie in diesen Glauben investieren – eine Energie, die mir in letzter Zeit leider abhandengekommen ist.
    Lange Schreibe, kurzer Sinn: Ich danke Ihnen für Ihre wohltuende Aufmerksamkeit und den Energieschub, den Sie mir lediglich durch ein paar schöne Zeilen geschenkt haben. Danke auch für die (ebenso) lauten Lacher über Ihre erheiternden Sparwitze.
     
    Berufsbedingt fällt es mir ja nie besonders schwer, mir ein schnelles Bild von einer fremden Person zu machen. Nach spätestens zwei Begegnungen oder Telefonaten habe ich die Menschen in eine meiner Geheimschubladen gesteckt, wo sie nur in Ausnahmefällen wieder herauskommen. Doch Sie wollen bislang in so gar keine Schublade passen. Das heißt, ständig hüpfen Sie dort heraus, wo ich Sie kurz zuvor versucht habe hineinzustecken.
    Die Kategorie «Muttersöhnchen» passt nun nicht mehr, was mich – zugegeben – etwas erleichtert. Nach kurzem Eintauchen in Ihre mir noch unbekannte Musikwelt im Internet lege ich Sie für heute liebevoll gewaschen, gebügelt und gefaltet in die Schublade «Einsamer Held des Alltags, der seine verantwortungsvolle Aufopferung und melancholische Sehnsucht mit einem eigenwilligen, aber herzerfrischenden Humor zu verstecken versucht». Mal sehen, ob Sie nach der nächsten Mail noch immer dort liegen.
     
    Ich hoffe, Sie hatten einen ebenso angenehmen Abend wie ich (wenigstens zeitweise) mit Ihnen.
     
    Wärmende Grüße
    Ihre Sara
    ***
    Sa 16. Oktober  22:06
    Betreff: Das geht über meinen Verstand
    Von: [email protected]
    An: [email protected]
     
    Liebe Psychologin,
    dieser ganze E-Mail-Kram ist ja unglaublich. Ich schrieb bereits, dass ich versuche, mich vom Internet zu distanzieren, mich nicht einfangen zu lassen. Aber wenn ich ehrlich sein darf (und das möchte ich, weil ich es auf diesem anonymen Wege kann und mich einmal in meinem Leben nicht verstellen will), dann muss ich sagen: ICH BIN VÖLLIG ELEKTRISIERT !
    Ob das positiv oder negativ ist, weiß ich nicht, ich stehe jedoch unter Strom von Ihrer Mail, und es fühlt sich verdammt gut an.
    Gerade eben vor ein paar Sekunden habe

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