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Herz an Herz

Herz an Herz

Titel: Herz an Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofie Cramer , Sven Ulrich
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durchschnittlich. Die Häuser stammen aus den 60ern, sind weiß angestrichen, und die Balkone bestehen aus Stahl und weißen Platten. Es ist eine ganz normale Wohngegend mit alltäglichen Menschen. Kein Balkon ist wirklich hübsch zurechtgemacht. Auf einigen stehen ein Tisch und Stühle, manche haben Pflanzen drauf, Lichterketten, Statuen. Auf anderen sind nur Bierkisten abgestellt.
    Auch mein Balkon ist nicht besonders hübsch. Aber dort steht ein altes, grünes Sofa, das mir der Freund eines Freundes vor Jahren geschenkt hat, weil er es wegschmeißen wollte. Ich mochte das Grün und die Armlehnen aus schwarzem Holz. Es ist ein echtes Männer-Sofa, das seit Jahren dem Wetter auf dem Balkon trotzt.
    Wenn ich auf dem Sofa sitze, vergesse ich die langweiligen Wohnungen und Menschen um mich herum. Ich sehe nur die Baumkronen und den blauen Himmel, durch den manchmal ein Flugzeug zieht. Selbst wenn jemand auf einem anderen Balkon Krach macht, herrscht auf meinem Ruhe. Das ist die besondere Magie meines Balkons, dass man alles um sich herum vergisst. Man kommt nach draußen, sieht den Hof, die Häuser, die Bäume und denkt, dass man hier nicht besonders gerne wohnen würde, weil alles so durchschnittlich ist. Doch dann setzt man sich hin und starrt eine Weile ins Nichts, und irgendwann …
    Nach einer Weile der Stille frage ich meine Gäste, die das erste Mal da sind, meist so etwas wie: «Der Balkon hat etwas Magisches, findest du nicht?»
    «Das stimmt!», sagt dann fast jeder mit erstaunter Stimme und sieht mich überrascht an. Die meisten fügen irgendwann noch mit verklärter Stimme hinzu: «Der Balkon hat tatsächlich etwas Magisches. Irre!»
    Ich nicke dann, und wir starren noch eine Weile in den Himmel, ganz ergriffen von der Magie des Balkons. Merkwürdig, oder?
     
    Heute wirkt die Magie allerdings nicht. Vielleicht liegt es daran, dass ich gestern einen schlechten Tag bei meiner Mutter hatte. Sie hat mich erkannt, und ich musste ihr zum x-ten Mal versichern, dass ihr Mann sie nur deshalb nicht besuchen kommt, weil er zu viel zu tun hat. Das schäbige Gefühl dieser Lüge lastet immer noch auf mir. Ob meiner Mutter diese erfundene Wahrheit wirklich hilft?
    Selbst das Joggen hat heute keine Entlastung gebracht. (Ich jogge immer montags und samstags.) Ich bin meine übliche Strecke gelaufen, habe geduscht, mich rasiert, frisch angezogen, zwei Brote gegessen und mich danach bei der Frage erwischt, ob ich heute eigentlich laufen war.
     
    Oder hat meine melancholische Stimmung damit zu tun, dass ich seit Tagen nichts von Ihnen höre? Dass ich seit meiner euphorischen Mail das Gefühl habe, einen Fehler begangen, mich zu weit aus dem Fenster gelehnt zu haben? Was habe ich denn erwartet?
     
    Ein Flugzeug zieht leise von rechts nach links. Ich stelle mir vor, dass es in den Süden fliegt, in die Wärme, in den Urlaub, ins Glück. Vielleicht sitzt ein frisch vermähltes Paar nach der Hochzeit darin. Erschöpft von der Feier und voller Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft.
     
    Es wird langsam kühler auf meinem Balkon, und ich lausche den für mich ungewöhnlichen Klängen des heute erstandenen «The Russian Album» von Anna Netrebko. Oper war bisher nicht so mein Fall, und ich gebe zu, es ist auch jetzt etwas gewöhnungsbedürftig. (Kann mal jemand die Frau befreien, die da so schreit!) Andererseits gefällt es mir, mal etwas anderem zu lauschen als M. F., Bruce Springsteen oder Fleetwood Mac.
    Der Gesang der Dame gibt mir das Gefühl, einen Blick in eine andere Welt zu werfen. Die Welt einer kultivierten Psychologin mit eigener Dachterrasse, die Menschen gerne in Schubladen steckt. Einer jungen Frau, die gerne ironische Kommentare abgibt, die ich meistens nicht verstehe. Einer Frau, die unaufgeregt-neugierig nachfragt und mir Zeit und Muße lässt zu antworten – oder eben auch nicht. Einer Frau, die mit Männern gerade nichts zu tun haben will und die meiner Frage nach der Flaschenpost-Hochzeit ausweicht.
    Deprimieren Sie Hochzeiten? Oder war es diese eine Hochzeit, die Sie nicht mochten? (Es war hoffentlich nicht Ihre eigene, oder?)
     
    Frau Netrebko sieht übrigens ziemlich hübsch aus, obwohl hübsch wahrscheinlich nicht das richtige Wort ist. Eher glamourös oder … Jedenfalls nicht meine Kragenweite. Was wohl an der aalglatten Verpackung liegt und vielleicht auch daran, dass ich bei Opernsängerinnen an Diven und Zicken denken muss. Und ich kann mir nicht helfen, aber bei Diven und Zicken vermute ich

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