Herz aus Eis
bringen.“
„Das ist aussichtslos.“
„Warum? Weil es Ihnen Spaß macht, hilflos zu sein? Oder weil Sie Angst vor den Schmerzen haben?“
Sein Gesicht wurde noch blasser. „Wie können Sie es wagen?“, setzte er an, als er seine Stimme wiedergefunden hatte. „Wie können Sie es wagen, in mein Haus zu rauschen und …“
„Nun, rauschen würde ich das nicht nennen. Es hat mich volle zwei Tage gekostet, überhaupt hier anzukommen.“ Sie lächelte dünn. Dabei war es der letzte Ort auf Erden, an dem sie sein wollte. Und Kristian Koumantaros die letzte Person, um die sie sich kümmern wollte. „Es gibt keine medizinische Rechtfertigung, warum Sie so hilflos sein sollten.“
„Hinaus mit Ihnen!“
„Das geht nicht. Sie werden zugeben müssen, dass es bereits zu dunkel ist, um mit einem Eselskarren den Berg hinunterzufahren.“
„Woher sollte ich das wissen? Ich bin blind.“
Das Blut schoss ihr in die Wangen, aus Unmut und Scham – doch nicht wegen ihr selbst, sondern seinetwegen. Wenn er sich einbildete, sie würde ihn jetzt bemitleiden, täuschte er sich. Und einschüchtern ließ sie sich erst recht nicht. Nur weil er ein millionenschwerer Grieche war, verdiente er nicht automatisch Respekt.
„Es ist nach vier Uhr, Mr. Koumantaros. Diese Seite des Berges liegt bereits in tiefstem Schatten. Selbst wenn ich wollte, ich könnte nicht gehen. Außerdem bin ich beauftragt, mit Ihnen zu arbeiten. Entweder das oder Sie werden in eine Rehaklinik eingewiesen. Es liegt bei Ihnen.“
„Das soll eine Wahl sein?“
„Nein, nicht wirklich.“ Sie nahm ein Pillenfläschchen, öffnete den Deckel, lugte hinein. Drei Tabletten waren noch übrig. Von dreißig. Und das Rezept war erst vor einer Woche ausgestellt worden. „Sie schlafen also immer noch nicht, Mr. Koumantaros?“
„Ich kann nicht schlafen.“
„Wegen der Schmerzen?“ Den Notizblock an die Brust gepresst, starrte sie auf sein dunkles Haar. Wahrscheinlich war er inzwischen von den Schmerzmitteln abhängig. Noch eine Schlacht, die es zu gewinnen galt.
Kristian setzte sich umständlich im Rollstuhl um. „Als wenn Sie das interessieren würde.“
Elizabeth blinzelte nicht einmal. Sein Selbstmitleid löste keineswegs Mitgefühl in ihr aus. Selbstmitleid gehörte zum Heilungsprozess, es war der allererste Schritt. Dass Kristian Koumantaros bis jetzt nicht darüber hinausgekommen war, sagte ihr, welch langer Weg noch vor ihnen lag. „Es interessiert mich“, erwiderte sie sachlich. Dass der Ruf ihrer Firma, den Kristian Koumantaros fast ruiniert hätte, sie ebenso interessierte, sagte sie natürlich nicht. „Allerdings werde ich nicht wie die anderen nachgeben und Ihnen Ihre Ausflüchte abnehmen, nur weil Sie meinen, sich alles erlauben zu können.“
„Aber Sie dürfen sich alles erlauben?“ Wutentbrannt lenkte er den Rollstuhl in ihre Richtung. Die Reifen fuhren über knirschendes Glas.
„Vorsicht, sonst haben Sie gleich noch einen Platten.“
„Umso besser! Ich hasse diesen Stuhl! Ich hasse es, nicht sehen zu können! Ich verabscheue es, so leben zu müssen!“ Er fluchte unflätig, aber zumindest blieb er mit dem Rollstuhl stehen, sodass der alte Hausdiener hastig die Scherben auffegen konnte.
Kristian saß mit zusammengesunkenen Schultern reglos da.
Verzweiflung. Der große Mann war nur noch ein Schatten seiner selbst.
Etwas regte sich in ihr. Doch so schnell das Gefühl kam, so schnell verdrängte sie es wieder. Er würde gesund werden. Es gab keinen Grund, warum er nicht gesund werden sollte.
Elizabeth bedeutete dem alten Butler stumm, sich zurückzuziehen. Mit einem Nicken verließ er die Bibliothek, Handfeger und das Kehrblech mit den Scherben in der Hand.
„Also, Mr. Koumantaros“, sagte sie, sobald die Tür leise ins Schloss fiel. „Sie müssen wieder mit Ihrem Rehaprogramm beginnen. Das klappt allerdings nicht, wenn Sie sämtliche Krankenschwestern vergraulen.“
„Sie waren allesamt unfähige, nutzlose …“
„Alle sechs?“ Elizabeth ließ sich auf dem nächsten Stuhl nieder. Er hatte die sechs Pflegerinnen in Rekordzeit verschlissen. Um genau zu sein, sie hatte niemanden mehr, den sie noch einsetzen konnte. Aber Mr. Koumantaros durfte auch nicht sich selbst überlassen werden, und ein alter Butler konnte ihm nicht die nötige medizinische Pflege geben.
„Eine von ihnen war nicht schlecht. In gewisser Hinsicht.“ Er tippte mit einem Finger auf den Metallrahmen des Rollstuhls. „Die jüngste von ihnen,
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