Herz aus Eis
klopfte oben an seine Tür, und nach einigen Minuten erlaubte er ihr, ins Zimmer zu kommen. Sie sah seinem hochroten Gesicht an, daß er etwas vor ihr verstecken wollte, und sie glaubte, die Ecke eines Buchrückens unter dem Bett hervorlugen zu sehen.
»Du bist wieder da«, sagte er, als wäre es eine Anklage.
»Wir kamen gestern zurück«, sagte sie und war sich sicher, daß er das schon längst wußte. »Gefällt dir dein Zimmer?«
Das große, helle, luftige Zimmer war doppelt so groß wie das Haus der Taggerts im Bergwerkslager; aber es standen keine Möbel darin bis auf ein Bett mit einer schmutzigen Decke — ein Anzeichen, daß Ian tagelang darauf gelegen hatte.
»Es ist in Ordnung«, murmelte Ian und blickte auf die Kappen seiner schweren Arbeitsstiefel hinunter.
Der taggertsche Stolz, dachte Houston. »Ian, könntest du mir heute nachmittag helfen? Ich habe vier Männer angeheuert, die mir die Möbel vom Speicher heruntertragen sollen; aber ich glaube, ich werde einen Aufseher brauchen, der dafür sorgt, daß sie nicht die Kanten an den Türstöcken abstoßen, wenn sie die Möbel in die Zimmer tragen. Solche Sachen, verstehst du? Könntest du mir dabei helfen?«
Ian zögerte erst; doch dann nickte er.
Houston war neugierig, wie Ian seine neuen Pflichten wahrnehmen würde — vermutlich wie ein Tyrann, wie sie ihn einschätzte. Doch zu ihrer Überraschung war er rücksichtsvoll, umsichtig und mit großem Ernst bei der Sache. Nur anfangs, als er seine Größe und Kraft einsetzte, um sich bei den Dienstboten Respekt zu verschaffen, gebärdete er sich wie ein zorniger junger Mann. Doch später am Nachmittag war er so vollkommen Herr der Lage, daß Houston nur noch auf die Stelle zeigen mußte, wo das jeweilige Möbelstück hinkommen sollte.
Sie sah staunend zu, mit welchem Geschick Ian die Männer dirigierte, die einen schweren Schreibtisch die Haupttreppe hinuntertrugen, als Edan hinter ihr sagte:
»Kane war genauso. Solche Menschen wie die beiden sind nie Kinder gewesen. Die Lakaien spüren das, und deswegen sind sie auch ohne Murren bereit, einem Halbwüchsigen zu gehorchen.«
Sie drehte sich zu ihm um. »Können Sie Baseball spielen?«
Edans Augen leuchteten auf. »Klar kann ich das. Haben Sie vor, eine Baseballmannschaft aufzustellen?«
»Fast hätte ich die Leute dafür beisammen. Ich glaube, ich rufe mal in Vaughns Laden für Sportartikel an und bestelle die Ausrüstung für ein Team. Meinen Sie, daß ich in meinem Alter noch lernen könnte, den Ball mit dem Schläger zu treffen?«
»Houston«, sagte er, ehe er sich wieder auf den Weg zu Kanes Büro machte, »ich bin sicher, daß Sie alles meistern, was Sie sich vornehmen.«
»Dinner ist um sieben«, rief sie ihm noch nach. »Und Abendanzug ist Pflicht.«
Sie konnte ihn lachen hören, ehe er die Bürotür hinter sich zumachte.
Das Abendessen wurde eine harmonische Angelegenheit.
Edans ruhige, geduldige Art machte Eindruck auf Ian. Der zornige Trotz des Jungen schien abzubröckeln.
Doch der nächste Tag verlief anders. Houston zog abends zum Dinner ein blaßgrünes Kleid aus Seidenrips an, mit einem netzartigen Überzug, der mit stahlgrauen Glasperlen bestickt war. Sie hatte Kane noch nicht gesehen, seit er am Nachmittag von seiner Geschäftsreise zurückgekommen war, und er hatte auch keine Anstalten gemacht, sich zum Dinner umzuziehen. Aber sie wollte sich deswegen nicht mit ihm anlegen. Mochte er ruhig in seiner verschwitzten Kluft zum Abendbrot kommen und feststellen, daß nur er sich mit schmutzigen Kleidern an den Tisch setzte.
Edan, der überraschend gut aussah in seinem dunklen Abendanzug, erwartete sie am Kopfende der Treppe, und Ian, der einen von Edans neuen Anzügen trug — er war ihm nur ein bißchen zu weit —, stand in einem schattigen Winkel des Korridors.
Houston sagte kein Wort, nahm den Arm, den Edan ihr bot, und streckte Ian ihren anderen Arm hin. Einen langen Moment rührte er sich nicht; aber als Houston so stehen blieb, kam er endlich doch aus seinem Schmollwinkel heraus und hängte sich bei ihr ein.
Die Treppe war breit genug, daß sie bequem nebeneinander die Stufen hinuntergehen konnten.
»Ian«, sagte Houston, »ich kann mich nicht genug bei dir für die Hilfe bedanken, die du mir in den letzten Tagen gewährt hast.«
»Ich muß mir doch meinen Lebensunterhalt verdienen«, murmelte er und blickte verlegen zur Seite; doch ihre Worte taten ihm offenbar gut.
»Wo, zum Teufel, steckt ihr denn alle?« rief
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