HERZ HINTER DORNEN
nach Hawkstone zurückgezogen, und die einzige Dame, die seine Mission möglicherweise dennoch gefährdet hätte, lebte seinen Informationen nach an der Mündung des Solent und zog dort eine stetig wachsende Kinderschar mit ihrem sächsischen Gemahl auf. Justin d'Amonceux war für die Engländer nicht mehr als ein Name, niemand brachte ihn mit Loup de Luthais in Verbindung, wenn er sich nicht selbst aus törichter Verblendung heraus verriet.
Eine Grimasse des Schmerzes verzog den schönen Mund und das klar gezeichnete Männergesicht, das sogar für einen Edlen normannischer Abstammung extrem hell und golden schimmerte. Was immer hinter der glatten Stirn vorging, es trübte mit keinem Anzeichen die Makellosigkeit der straffen Haut und den Glanz der kristallklaren Edelsteinaugen. Und dennoch stand die blendende Erscheinung in krassem Gegensatz zu dem finsteren Aufruhr in seinem Innern.
Er musste diesen Aufruhr überwinden und wieder zu seiner gewohnt klaren Urteilskraft finden. Er füllte den Weinbecher von neuem und trank ihn in einem Zug aus. Es war sein eigener Wein, den er mitgeführt hatte, aber er schmeckte dennoch wie Brackwasser auf seiner Zunge.
Er war nicht zum Agenten geboren, und im Grunde seines Herzens bereute er es nun, dass er sich aus Langweile und Überdruss bereit erklärt hatte, diese Rolle für seinen ehrgeizigen Herzog zu spielen. Immerhin würde der heutige Abend die Dinge endlich in Bewegung bringen.
Prinzessin Mathilda hatte den ganzen Nachmittag ihre Damen, Mägde, Knechte, Köche und Kellermeister sowie den erschöpften Haushofmeister auf Trab gehalten. Das aufwändige Bankett versprach ein großes Ereignis zu werden. Seine Kulisse würde dem Grafen endlich die Gelegenheit verschaffen, einen Teil seines Auftrags zu erledigen, ohne dass er Verdacht bei dem jungen König erregte.
Er schätzte Rufus wesentlich vorsichtiger und überlegter ein, als Robert dies von seinem Bruder behauptet hatte. Ein weiterer Punkt, der ihn am eigenen Scharfblick zweifeln ließ.
»Gib genügend Rosenöl in das Badewasser und bereite warme Tücher vor, damit wir die Haare schneller trocknen können«, befahl Roselynne.
Ihre Stimme klang gedämpft, denn sie steckte mit dem Oberkörper in den Tiefen der großen, geschnitzten Kleidertruhe, in der ihre kostbarsten Gewänder lagerten. Ihre suchenden Hände glitten über Seiden- und Samtstoffe, über feine Schleiergewebe und kunstvoll bestickte Tuniken. So schwer war es ihr noch nie gefallen, sich für eines davon zu entscheiden.
Fern von jeder Eitelkeit liebte sie es, sich zu schmücken. Nicht weil sie Schönheit oder Reichtum zeigen wollte, sondern weil sie edle Stoffe, geschmackvolle Kleider und die Harmonie passender Farben schätzte. Schon als kleines Mädchen war sie diejenige ihrer Schwestern gewesen, die sich um jedes neue Gewand die meisten Gedanken gemacht hatte. Vielleicht auch, weil sie beizeiten das Gefühl gehabt hatte, dass sie ihre große Schwester nie an Schönheit, sondern höchstens an modischer Eleganz übertreffen könnte.
Inzwischen hatte sie gelernt, diesen kindischen Neid zu überwinden, aber die Freude an feudalen Roben war ihr geblieben. Genau aus diesem Grund stand sie jedoch vor einem handfesten Problem. Welches von all diesen exklusiven Gewändern eignete sich für ihre Zwecke am besten? Wie konnte sie Eleganz und Herausforderung so geschickt verbinden, dass ein gewisser Seigneur davon unwiderstehlich angezogen wurde?
»Rosenöl im Überfluss, unzählige warme Tücher, Seidenstoffe ... Ei, was noch alles?! Man könnte meinen, Ihr schmückt Euch für Eure Verlobung und nicht für das Festmahl zum Erntedank! Weshalb all die Mühe? Habt Ihr Euch doch entschlossen, den Lord von Exham zu erhören? Eure Frau Mutter wird erleichtert sein, wenn sie davon erfährt.«
Roselynnes Kammerfrau stammte wie ihre junge Herrin aus Hawkstone. Sie war eines der zahllosen Frauenzimmer aus der Familie ihrer Kinderfrau Grytha, und sie kommentierte all die Anweisungen mit der Ungeniertheit eines Haushaltsmitglieds, das seine Herrin umsorgte, seit jene das Laufen gelernt hatte.
Roselynne tauchte mit hochroten Wangen aus der Truhe auf und schnappte empört nach Luft. Sie empfand weder den Wunsch, ihre Geheimnisse mit der Kammerfrau zu teilen, noch wollte sie den betagten Lord heiraten, den man ihr seit neuestem von allen Seiten anpries wie ein angeschimmeltes Stück Brot.
»Bist du verrückt, Maud? Mylord Exham ist doppelt so alt wie ich und zum zweiten
Weitere Kostenlose Bücher