HERZ HINTER DORNEN
mithilfe des mitgebrachten Gepäcks einen Anschein von sorglosem Reichtum zu erwecken. Zum einen sollte dieser Umstand erklären, weshalb er so gar keine Anstalten machte, sich um ein Amt oder eine Position zu bewerben, zum anderen den Ehrgeiz eines Königs erregen, der an mehreren Fronten zugleich Krieg führen musste. Rufus hielt ständig nach Quellen Ausschau, die seine Finanzen aufbesserten. Ein reicher Edelmann konnte sicher sein, dass der junge Monarch jeden Versuch unternahm, ihn für seine Zwecke zu verpflichten.
Wenn er erst das Vertrauen des Königs besaß, sollte er seinem Herzog jene Informationen zukommen lassen, die sich bislang dem Wissen der geschicktesten Spione entzogen. Es war schwierig, Rufus persönlich nahe zu kommen, und Robert setzte dabei schamlos und boshaft auf die männliche Schönheit des Grafen. Justin d'Amonceux hatte sich dem Befehl zum falschen Spiel unterworfen, weil es ihm ohnehin gleichgültig war, womit er sein Leben zerstörte.
In diesem Augenblick indes war sein aufgewühlter Gefühlszustand weit entfernt von der üblichen Gelassenheit. Die Ereignisse im Obstgarten des Königs hielten ihn noch immer in ihrem Bann. In seinem Körper pochte das Verlangen und auf seinen Lippen schmeckte er den Duft von Roselynnes Küssen. Wie blind starrte er vor sich hin.
Er sah weder die Felldecken auf dem Alkoven noch die von Meisterhand ziselierten Silberkannen und Becher auf dem Tisch, noch die geschnitzten Reisetruhen, die seine Hofkostüme bargen. Vor seinem Auge flimmerten feuchte, verlockende Mädchenlippen, ein verschwimmender Fliederblick und die köstliche Einladung bebender, bloßer Brüste. Nur die Illusion genügte schon, dass die Enge in seinen Beinkleidern drängend wurde. Er murmelte einen Fluch.
Ein junger Mann im schlichten Wams des Dieners, dessen ansprechende Züge jedoch das vertraute Lächeln eines Freundes darboten, war eben dabei, Feuerholz neben den mangelhaften Kamin zu schlichten. Jetzt erhob er sich und betrachtete seinen zornig abwesenden Seigneur mit der Miene eines Mannes, der sich auf Hiobsbotschaften vorbereitete.
»Was ist geschehen?«
Der Graf winkte mit einer unwilligen Geste ab und zwang sich stattdessen die Frage zu stellen, die von ihm erwartet wurde. »Warst du erfolgreich? Hast du mit dem Schotten gesprochen?«
Der Diener nickte. »Er ist bereit, Euch heute Abend zu sehen. Wenn das Festmahl zu Ende geht und die Aufmerksamkeit nachlässt. Er wirkte ziemlich überrascht, in Eurer Person den erwarteten Kontaktmann zu finden.«
Der Edelmann schnaubte und fühlte eine Spur von Verständnis für den Schotten. Seine Mission sah nicht vor, dass sie sich wegen einer hübschen Hofdame in die Haare gerieten. Seit Roselynne de Cambremer in sein Leben geritten war, neigte er dazu, erst zu handeln und dann zu denken. Das musste wieder anders werden.
»Er kommt in den alten Garten der Königin?«, versicherte er sich.
»Es hat ihm missfallen.« Der Diener zuckte mit den Achseln und schickte ein Grinsen hinterher. »Man könnte fast meinen, er fürchte dort den rächenden Geist der kleinen Königin. Diese Schotten sind seltsame Männer. Erschreckende Krieger, stark wie die Bullen, aber abergläubisch wie alte Jungfern. Dennoch, er wird Euch dort treffen, weil ihm nichts anderes übrig bleibt.«
»Gut.«
Der Ritter trat an die schmale Fensteröffnung und starrte auf das Stückchen blassblauen Himmel, das sich über den Dächern von Winchester seinem Blick darbot.
»Werden wir nach dem Festmahl abreisen oder habt Ihr andere Pläne?«
Einen Augenblick lang sah es so aus, als hätte der Graf die Frage nicht gehört. Dann jedoch ging ein Ruck durch die sehnige Gestalt, und die Antwort kam kühl und ohne jedes Gefühl. »Wir reisen nur, wenn mir der König die Gastfreundschaft kündigt, und da dies mitnichten der Fall ist, werden wir unsere Heimat nicht so schnell wieder sehen. Dennoch wäre es gut, wenn du dafür sorgst, dass wir stets für alle Eventualitäten gerüstet sind.«
»Das tu ich doch immer«, entgegnete der junge Mann. Er zögerte einen Herzschlag, dann trat er neben den Ritter und legte eine Hand auf seinen Arm.
»Du hattest Ärger? Droht Gefahr?«, fragte er dieses Mal in einem völlig anderen Ton und mit dem freundschaftlichen Du großer Vertrautheit.
Justin d'Amonceux wich seinem Blick aus. Jacques Boscot hatte nicht nur die Amme mit ihm geteilt, sondern auch die zurückliegenden 28 Jahre ihres gemeinsamen Lebens. Aus dieser Zeit besaß er die
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