HERZ HINTER DORNEN
Vasallen des Fürsten von Anjou. Er war dieser Graf in höchsteigener Person! Ihr verwundetes Herz hatte es vor ihren Augen gewusst.
Die Jahre hatten ihn verändert, älter, arroganter und härter gemacht, aber ihr Herz hatte ihn dennoch gefunden. Jenes Herz, das sich vor mehr als vier Jahren bedingungslos und auf immer für ihn entschieden hatte. An diesem Punkt angelangt, fand Roselynne sich jedoch von einem Wald aus neuen Fragen umgeben.
Weshalb präsentierte sich der Edelmann an Rufus' Hof unter fremdem Namen? Sie wusste keinen Grund dafür. Die meisten Familien am Hof hatten Bindungen zu der alten normannischen Heimat. Nicht wenige von ihnen hatten sogar die Loyalität ihrer Söhne zwischen den Söhnen des Königs geteilt. Es gab keinen Grund, einen bekannten Namen zu verschweigen und sich unter falschen Vorspiegelungen unter Rufus' Freunde zu mischen.
Es sei denn, jemand hätte Beweggründe, die nicht mit der Ehre eines Ritters im Einklang stünden. Robert von Anjou war nicht nur machthungrig, sondern vom Ehrgeiz auf die englische Krone geradezu zerfressen. Er hatte schon zu Lebzeiten des großen Eroberers Revolte auf Revolte angezettelt, um auf den Thron des Vaters zu kommen. Seine engsten Ratgeber, Gefährten und Ritter teilten diese gefährlichen Ambitionen. Es passte nicht zu ihm, dem Bruder zu schmeicheln und ihm Geschenke zu schicken.
War es möglich, dass der Seigneur von d'Amonceux inzwischen ein Mitglied dieses unheilvollen Zirkels geworden war und seine Anwesenheit in Winchester Teil eines neuerlichen heimtückischen Plans? Roselynne vermochte es nicht zu beurteilen. Sie konnte sich nur auf ihre Intuition verlassen, und die verriet ihr, dass er ein lebensgefährliches Spiel spielte, in dem weder eine Frau noch Gefühle einen Platz hatten; eines jener höchst befremdlichen Macht- und Männerspiele, die Frauen ausschlossen. Wenn sie es zuließen ...
Der Zorn gab Roselynne die Kraft, endlich wieder aufzustehen. Sie warf den Kopf in den Nacken und richtete ihre Kleider. Als sie die Tunika über dem Untergewand in Form zupfte und ihre Brustspitzen sich bei der zufälligen Berührung erneut sehnsuchtsvoll aufrichteten, errötete sie. Ihr Körper wollte diesen Mann und seine kühnen Zärtlichkeiten.
Allein, weshalb sollte sie ihn dafür tadeln? Loup de Luthais war nicht länger ein Fremder, der sie verwirrte. Er war Justin d'Amonceux, ihre Liebe. Heute noch mehr als vor vielen Jahren. Denn sie war kein Kind mehr, sondern eine Frau mit den Wünschen einer Frau! Er war der Mann, auf den sie all die Jahre gewartet hatte, egal woher er kam, wie er sich nannte und was er im Schilde führte.
Sie würde ihm beweisen, dass sie nicht mehr das dumme Mädchen war, an das er sich erinnerte. Sie würde nicht zulassen, dass er sie respektlos behandelte oder ihr wehtat. Sie würde Wege finden, damit er in allen Ehren einsah, dass sie vom Schicksal füreinander bestimmt waren.
Bis dahin war es immerhin gut zu wissen, dass er nicht der gefühllose Eisblock war, für den ihn alle hielten. Sie mochte eine unschuldige Jungfer sein, aber sie hatte das heiße Begehren in seinen Augen gesehen und gedachte es zu nutzen. Es gab der Wege viele, einem Edelmann den Kopf zu verdrehen. Bisher hatte sie es zwar noch nie nötig gehabt, zu solchen Mitteln zu greifen, aber sie würde auch nicht davor zurückschrecken.
Roselynne strich sich die seidige Haarfülle über die Schultern und versuchte den Schleier ohne die Hilfe einer Magd zu befestigen. Ihre Hände bebten. Sie musste sowohl ihre Finger als auch ihre Gedanken gewaltsam zur Ruhe zwingen. Ihre Augen brannten, aber sie weigerte sich, dem Wunsch zum Weinen nachzugeben.
Dies war keine Zeit zum Weinen. Es war eine Zeit zum Kämpfen.
Sie eilte aus dem Obstgarten schnurstracks in den Palast zurück. Es gab noch eine Menge Arbeit bis zum abendlichen Bankett. Da war nicht nur der große Saal zu schmücken, sondern auch die eigene Person!
5. Kapitel
Justin d'Amonceux schlug die Tür des schmalen Gemachs hinter sich zu, das er im Palast von Winchester bewohnte, und lehnte sich keuchend von innen dagegen. Die Gastfreundschaft des Königs hatte ihm zwar den Luxus eines eigenen Quartiers verschafft, aber damit hörte sich die Bequemlichkeit auch schon auf. Die schmalen Fensteröffnungen enthielten weder Glas noch Läden und der steinerne Kamin qualmte erbärmlich, wenn man den törichten Versuch unternahm, mehr als drei Scheite auf einmal zu verbrennen.
Dennoch war es ihm gelungen,
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